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SSRQ ZH NF II/11 144-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil: Rechte der Landschaft. Band 11: Die Obervogteien um die Stadt Zürich, von Ariane Huber Hernández und Michael Nadig

Zitation: SSRQ ZH NF II/11 144-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Bestätigung des Fertigungsrechts des Grossmünsterstifts über seine Lehengüter im Konflikt mit den Landschreibern von Schwamendingen und Albisrieden

1691 April 29.

Bürgermeister und Rat von Zürich urteilen im Konflikt zwischen Johann Rudolf Lavater, dem Stiftsschreiber des Grossmünsters, im Namen des Stifts einerseits und Heinrich Wüst, Landschreiber in Schwamendingen, und Rudolf Waser, Landschreiber in Albisrieden, anderseits betreffend das Fertigungsrecht des Stiftes und die Befugnis, Fertigungsbriefe oder Kaufbriefe zu erstellen, nachdem ein durch fünf Ratsabgeordnete vorgeschlagener Vergleich misslungen ist. Lavater verteidigte das Fertigungsrecht des Stifts unter Hinweis auf dessen zweihundertjährigen unbestrittenen Besitz und beanspruchte unter Berufung auf seine Vorgänger und mit Hinweis auf Rechenschreiber, Spitalschreiber und Almosenamtschreiber das Anrecht auf Urkundenausfertigung. Die Landschreiber erklärten dagegen, dass vor etlichen Jahren Altstiftsschreiber Rudolf Müller und Amtmann Marx Escher, damaliger Landschreiber in Schwamendingen, eine gütliche Verabredung getroffen hätten, wonach auch die Landschreiber das Protokoll führen und zwecks Betrugsvorbeugung nicht nur Fertigungsurkunden über Schulden, sondern auch über Käufe ausstellen dürften. Hans Kaspar Wolf, der Stiftsverwalter, belegte das Fertigungsrecht des Grossmünsterstifts seinerseits, indem er es auf die Schenkung Karls des Grossen zurückführte und Entscheide vorlegte, die in die Stiftsoffnungen eingetragen worden waren. Ausserdem verwies er auf die Abschriftensammlung der Fertigungsurkunden. Auf der Grundlage eines Gutachtens entscheiden Bürgermeister und Rat von Zürich wie folgt: Das Stift soll bei seinen Privilegien, den früheren Ratsentscheiden und somit bei seinem Fertigungsrecht bleiben. Der Stiftsschreiber muss von allen Geschäften eine Urkunde ausfertigen, die vor den Stiftsvertretern gefertigt und verhandelt werden. Für eine bessere Ordnung und zur Verhinderung von Betrug sollen die Landschreiber von Schwamendingen, Albisrieden und andernorts, wo das Stift Erblehengüter besitzt, zugegen sein. Sie sollen aus ihren Protokollen die benötigten Auszüge, insbesondere Schuldenverzeichnisse zusammenstellen und die vom Stiftsschreiber empfangene Fertigungsnachricht im Landprotokoll aufnehmen. Die Schreibgebühren fallen zu zwei Dritteln dem Stiftsschreiber und zu einem Drittel dem Landschreiber zu. Die Besiegelung der Fertigungsurkunden und die damit verbundenen Gebühren stehen nach wie vor dem Pflegeamt des Stiftes zu. Die Aussteller siegeln mit dem Sekretsiegel.

  • Signatur: StAZH C II 1, Nr. 1057 b
  • Originaldatierung: 1691 April 29
  • Überlieferung: Original
  • Beschreibstoff: Pergament
  • Format B × H (cm): 60.0 × 33.5 (Plica: 5.5 cm)
  • 1 Siegel:
    1. Stadt ZürichPerson: , Wachs in Holzkapsel, rund, angehängt an Pergamentstreifen, abgeschliffen
  • Sprache: Deutsch

  • Signatur: StAZH G I 231, fol. 1a-1d
  • Originaldatierung: 1691 April 29
  • Überlieferung: Libell (Abschrift)
  • Beschreibstoff: Pergament
  • Format B × H (cm): 24.0 × 29.5
  • Sprache: Deutsch
  • Signatur: StAZH G I 8, Nr. 49
  • Originaldatierung: 1691 April 29
  • Überlieferung: Zeitgenössische Abschrift, Heft (4 Blätter)
  • Beschreibstoff: Papier
  • Format B × H (cm): 21.0 × 33.0
  • Sprache: Deutsch
  • Signatur: StAZH G I 8, Nr. 50
  • Originaldatierung: 1691 April 29
  • Überlieferung: Zeitgenössische Abschrift, Heft (4 Blätter)
  • Beschreibstoff: Papier
  • Format B × H (cm): 21.0 × 33.0
  • Sprache: Deutsch

Editionstext


Wir, burgermeister und raht der statt ZürichOrt: Organisation: , urkhunden hiemit offentlich, demnach
sich mißverstand und streitigkeit erhebt zwischent den ehren vesten, unßeren besonders getreüwen, lieben, verburgerten, Johann Rodolff LavaterPerson: , schreibern einer ehrwürdigen
stifft zum Großen MünsterOrganisation: , an einem, danne Heinrich WüestPerson: , landtschreibern zu SchwâmendingenOrt: , und Rudolff WaßernPerson: , landtschreybern zu RiedenOrt: 1, an dem anderen theil betreffend theils
einer ehrwnehrwürdigen stifftOrganisation: zugehörendes fertigungs-recht, theils die befugsamme, die fertig- ald kauff-brieff2 zuschreiben, da dan ermelter stifftschreiber innammen seiner hhherren principalen angehalten, daß wir
selbige bey ihrem ohndisputierlich von zweyenMenge: 2 seculisSprachwechsel: Latein hero unperturbiertem possess der fertigungs rechten zu schützen und zuschirmen, bynebent ihme gleich seinen vorfahren nach außweisung der
offnung3 (und wie die rechen-, spitthal- und allmosen ambts schreiber an ihrem ohrt consideriert seyen) zu gutem wolermelter stifftOrganisation: lëhen zinsen und tragereyen umb das, so vor dero stab gefertiget wird, die schreibung der fertigungs-brieffen zuzukennen, gngnädig geruhen wolten.
Hingegen hatten erwehnte landtschreibern, sonderlich der zu SchwâmendingenOrt: , vermeinen wollen, daß in
ansehung einer vor etlichen jahren beschechnen güetlichen abred zwischent dem ehrsammen, weisen alt stifftschreiber Rudolff MüllerPerson: und dem frommen, vesten ambtman Marx EscherPerson: , damahligen
landtschreiber zu SchwâmmendingenOrt: , auch sy solch streitiger enden daß protocoll füehren und zu verhüetung allerhand betrugs nicht nur die schuld, sondern auch, nach bedingtem innhalt erregter
abred, die kauffs verfertigungs-brieff zu schreiben ihnen zuständig seyn solten.
Und nun wir sie in klag und antwort, auch ablesung eingelegter schrifften4 der nothurfft nach angehört,
habend wir hierauff etwelche unserer mitträhten verordnet5, namblich die hochgeachten, woledlen, gesträngen, frommen, vesten, fürnehmen, fürsichtigen und weißen, herren Johann
Heinrich Dentzler
Person:
, statthalter, hrherrn Caspar MuraltPerson: , obmann gemeiner unßerer clöstern, hrherrn David HörnerPerson: , gewesenen syl- und dießmahligen hardherr, hrherrn Salomon HirtzelPerson: , gewesnen
landtvogt im ThurgeüwOrt: und jetzmahliger statthaubtman, und hrherrn Ulrich WolffPerson: , gewesnen vogt zu GrüeningenOrt: , in der meinung (mit zuziehung unßers auch gelbtgelobten mittrahts, hrherrn
Melchior HoffmeistersPerson: , zunfftmeisters und gewesnen vogts zu WynfeldenOrt: , und deß ehrwnehrwürdigen und wolgelehrten hrherrn Caspar WolffenPerson: , verwaltern der stifftOrganisation: ), die partheyen in ihrem für- und
widerbringen weiters gegen einanderen zuverhören, ihre documentaSprachwechsel: Latein zu durchgehen und, wo müglich, sie güetlich mit einanderen zuvergleichen, welche dan den 27ten martiiDatum: 27.3.1691 () nechsthin sich
zusammen verfüegt, beide partheyen der weitleüffigkeit nach in ihren angelegenheiten verhört, die ein- und anderseiths zum beweistumb producierte gründ und eingegebne schrifften
erduhret und dato uns gebührend referiert, wie daß von ermeltem hrherrn verwalter WolffenPerson: in nammen einer ehrw ehrwürdigen stifftOrganisation: zu beschirmung der stifftsherrlichen fertigungs-rechten
die rechtsamme a donatione Caroli magniPerson: Sprachwechsel: Latein hargeführt und durch underschidenlich, in nechst verwichnem und gegenwürtigem seculoSprachwechsel: Latein von räht, auch räht und burgerenOrganisation: , ertheilt, ihrer offnung einverleibten erkantnußen confirmiert zu seyn, auch durch etlich mit fertigungen angefüllte follianten die praxis bescheint worden seye, so danne ernant streitige partheyen
ihre oberzehlte gründ contradictorieSprachwechsel: Latein weitlaüffig proponiert, worüber sie zwahren ein etwelches gutachten abgefaßet, darmit aber die partheyen sich nicht allerdings vernüegt
befunden, deßetwegen sie die gantze handlung ledigklich uns zu rechtlichem außspruch gezimmend haben hinterbringen wollen.
Derhalben wir in reifflicher erduhr- und überlegung der sachen beschaffenheit in conformitet angeregt, wol abgefast befundenen gutachtens einhellig erkennt, daß eine erhrwehrwürdige stifftOrganisation: by ihren althar gebrachten privilegien
nach außweisung ihrer offnungen und urbarien (die wir in krafft dieß brieffs by ihrem innhalt mit aller sicherheit, so zu solichen sachen gehört, für jetz und könfftige zeiten confirmieren und bestätigen)6, wie nicht weniger by der durch vilfaltig von unßeren regiments vorfahren und uns ergangnen erkantnußen zum offteren bekrefftigeterKorrektur überschrieben, ersetzt: na freyheit der
fertigungs rechten, benantlich aller orthen unßerer gericht und gebiethen, wo ihro über die selbiger von alten har lëchig geweßenen güter daß fertigungs recht zustehet und sie es
docieren kan, forthin unperturbiert, in allweg unbekränckt und krefftigist geschirmt verbleiben, demnach von ihrem alß stifftschreiber alles daß jennige, was vor dero stab gefertiget und verhandlet wird, verbriefet und außgehändiget werden, und umb gemeinen bestens wegen zu verhüetung allerhand unordnungen und betrugs, die landtschreibern
zu SchwâmendingenOrt: und RiedenOrt: , wie auch andere landtschreiber, in deren bezirck oberleüterter mâßen stifftische erb lëhengüeter sich befinden theten, die benöthigte extractaSprachwechsel: Latein auß
ihren protocollisSprachwechsel: Latein, was namlich schuldbarliches auff den gefertigten güeteren stehen möchte, abzufolgen laßen, auch die von gedachtem stifftschreyber entpfahende fertigungs-nachricht
dem landtsprotocolloSprachwechsel: Latein einzuverleiben pflichtig seyn; und dahero von dem schreibtax dem stifftschreiber für seine mehrere müehwalt zween drittheilMenge: 0.66, den landtschreiberen aber für
ihre müeh ein drittheilMenge: 0.33 zu kommen, so danne einer erhrwehrwürdigen stifftOrganisation: pflägerambt die besiglung der fertigungs-brieffen allein wie von altem har gebühren und überlaßen seyn,
auch demme fürohin von allen hierin berührten theilen ohne widrige exception gehorsammlich nachgelebt werden solle.
In krafft dieses brieffs, an den wir zu wahrem und vestem
urkhundt unßer statt ZürichOrt: secret-insigel offentlich haben hencken laßen, mittwochs, den neün und zwänzigsten aprilis von der gnaden reichen gebuhrt Christi, unßers
lieben herren und heilands, gezellt eintaußendt sechshundert neüntzig und ein jahr
Originaldatierung: 29.4.1691 ()
.7
[fol. v]Seitenumbruch
[Vermerk auf der Rückseite:]
Spruch brieff
der stifftOrganisation: rechtsammenen ins gemein, sonderbahr aber die fertigungs freyheit und daran
hangende verschrybung der verkaüffen umb
eerb lächen güether, sambt theilung
des schryber taxes belangend,
anno 1691Datum: 1691

Anmerkungen

  1. Korrektur überschrieben, ersetzt: n.
  1. Albisrieden.Ort: .
  2. Beispiel einer zeitnahen Kauffertigung durch das GrossmünsterstiftOrganisation: vgl. StAZH G I 8, Nr. 13.
  3. Sowohl die älteren Rechte des StiftsOrganisation: in SchwamendingenOrt: (ca. 1400) als auch die erneuerten Rechte von 1533Datum: 1533 erwähnen die Pflicht der Inhaber von Erblehengütern, Kaufgeschäfte innert Jahresfrist vor dem Propst respektive vor den Stiftspflegern zu fertigen (SSRQ ZH NF II/11 15-1, Art. 24; SSRQ ZH NF II/11 57-1, Art. 16).
  4. Vgl. hierzu die weiteren in diesem Zusammenhang entstandenen Schreiben (StAZH G I 8, Nr. 42; StAZH G I 8, Nr. 44; StAZH G I 8, Nr. 46; StAZH G I 8, Nr. 47; StAZH G I 8, Nr. 55).
  5. Der Konflikt muss ein Jahr früher angefangen haben, da bereits am 18. Januar 1690Datum: 18.1.1690 () vier Ratsherren (David HornerPerson: und Ulrich WolfPerson: werden im Gegensatz zur edierten Urkunde nicht genannt) abgeordnet wurden, ein Gutachten über die Natur der Lehengüter zu erstellen, wegen deren Fertigung ein Konflikt ausgebrochen war (StAZH G I 8, Nr. 35). Vom gleichen Tag ist auch ein Bericht erhalten (StAZH G I 8, Nr. 36). Datierend vom 23. Januar 1690Datum: 23.1.1690 () haben sich Zusammenstellungen und ein Bericht über früher erfolgte Fertigungen sowie ein Gutachten überliefert (StAZH G I 8, Nr. 37; StAZH G I 8, Nr. 38; StAZH G I 8, Nr. 39; Edition: Hotz, UB Schwamendingen, Anhang, A. 26; StAZH G I 8, Nr. 41).
  6. Die erneuerte Offnung von AlbisriedenOrt: vom 20. Mai 1691Datum: 20.5.1691 führt die Anzeigepflicht der Verkäufer von eigenen oder Erblehengütern zuhanden des dortigen Hofmeiers oder des Stiftsverwalters auf, damit Handänderung von den Stiftspflegern gefertigt werden können (SSRQ ZH AF I/1, Nr. 16, Art. 20e, S. 164).
  7. Ein Eintrag im Unterschreibermanual des 20. April 1691Datum: 20.4.1691 () erwähnt die Verlesung des Vergleichs zwischen den beiden Parteien, in welchem dem StiftOrganisation: das Recht auf Ausfertigung von Fertigungs- und Kaufurkunden bestätigt worden ist. Auch die Verteilung der Schreibgebühren ist bereits festgehalten. Für den Fall, dass die Konfliktparteien den Vergleich nicht annehmen sollten, sehen Bürgermeister und beide RäteOrganisation: vor, dass das von den Landschreibern eingelegte Bittschreiben (StAZH G I 8, Nr. 44) dem Stiftsschreiber LavaterPerson: mitgeteilt und am Montag darauf die Bittschreiben beider Parteien angehört werden sollen, um zu erörtern, ob zwischen alten und neuen Lehengütern zu unterscheiden sei (StAZH B II 633, S. 110-111). Ein Eintrag zum vorliegenden Ratsentscheid liegt unter dem 29. April 1691Datum: 29.4.1691 () ebenfalls vor (StAZH B II 633, S. 123-125; Teiledition: Hotz, UB Schwamendingen, Teil 1, Nr. 229b).