check_box_outline_blank zoom_in zoom_out
SSRQ ZH NF II/11 163-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil: Rechte der Landschaft. Band 11: Die Obervogteien um die Stadt Zürich, von Ariane Huber Hernández und Michael Nadig

Zitation: SSRQ ZH NF II/11 163-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Urteil der Obervögte wegen Beleidigung der Gemeinde Höngg

1763 Mai 26.

Caspar Rieder und sein Sohn Johannes haben anlässlich eines Konflikts mit der Gemeinde Höngg um das Zugrecht der Gemeinde gegenüber einem Haus, das Rieder an Felix Bereuter verkauft hat, die ganze Gemeinde eine Lumpen-, Schelmen- und Diebesgemeinde genannt. Zur Wiedergutmachung dieser Beleidigung müssen Rieder und sein Sohn den Untervogt von Höngg im Gemeindehaus in Anwesenheit der Gemeindevorgesetzten und des Stillstands um Verzeihung bitten sowie eine Busse von 15 Pfund an die Obrigkeit und 2 Pfund an den Stadtknecht bezahlen. Aus Gnade wird von einer Gefängnis- oder Körperstrafe abgesehen.

  • Signatur: StArZH VI.HG.A.4.:54
  • Originaldatierung: 1763 Mai 26
  • Überlieferung: Original (Doppelblatt)
  • Beschreibstoff: Papier
  • Format B × H (cm): 21.5 × 35.0
  • Sprache: Deutsch

Die Ehre spielte im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit eine zentrale Rolle für die Stellung des Individuums in der Gesellschaft. Entsprechend schwer wogen Ehrverletzungen; viele Gerichtsverfahren betrafen hauptsächlich oder teilweise Ehrkonflikte (Burghartz 1990, S. 125-134). Ehre kam aber nicht nur Einzelpersonen, sondern auch ganzen Gruppen zu, etwa die Standesehre oder die Ehre einer Berufsgruppe. Im vorliegenden Fall war die Ehre der ganzen Gemeinde HönggOrt: Organisation: dadurch verletzt worden, dass Caspar RiederPerson: sie als Lumpen-, Schelmen- und Diebesgemeinde bezeichnet hatte – äusserst ehrenrührige Vorwürfe. Zur Wiederherstellung der Ehre musste RiederPerson: neben der Bezahlung einer Busse auch öffentlich vor den Amtsträgern der Gemeinde als deren Vertreter um Verzeihung bitten.

Vorausgegangen war ein Konflikt um den Verkauf des Hauses von RiederPerson: an Felix BereuterPerson: von IllnauOrt: , also einen Auswärtigen. Bereits am 24. September 1762 hatte die Gemeinde HönggOrt: Organisation: vor den Obervögten dagegen geklagt, zumal der Verkauf ohne Kenntnis der Obervögte geschehen sei. Die Obervögte folgten jedoch der Argumentation RiedersPerson: , nach allgemeinem Landrecht dürfe er sein Haus einem anderen Landesangehörigen verkaufen, und erklärten den Verkauf für gültig (StAZH B VII 16.6, S. 48-49). Am 5. November 1762 versuchte Konrad KnechtliPerson: , ein Nachbar des neuen Hauses von Caspar RiederPerson: , ein Zugrecht für dieses Haus geltend zu machen, also das Recht, gegen Erstattung des Kaufpreises an die Stelle des Käufers zu treten. Die Obervögte traten aber nicht darauf ein, weil die dafür gültige Frist von sechs Wochen und drei Tagen bereits verstrichen war (StAZH B VII 16.6, S. 50-51). Mehr Erfolg hatte die Klage der Gemeinde HönggOrt: Organisation: , welche am selben Tag das Zugrecht auf das an Felix BereuterPerson: verkaufte Haus beanspruchte: Die Obervögte entschieden, dass der Verkauf erst mit dem Urteil vom 24. September rechtskräftig geworden sei und die Frist somit noch laufe (StAZH B VII 16.6, S. 51-54). Am 26. Mai 1763 wurde nicht nur die im Lauf des Konflikts geäusserte Beleidigung der Gemeinde geahndet, sondern auch der Verkaufsstreit endgültig entschieden. Die Gemeinde forderte von RiederPerson: Ersatz für den Schaden, den sein Verhalten und seine und BereutersPerson: Klagen der Gemeinde eingebracht hatten. Weil RiederPerson: zudem einen Artikel des Einzugsbriefs von 1644 verletzt hatte, forderte die Gemeinde auch die Bezahlung des Einzugs. Der Artikel besagte, dass, wer sein Haus einem Fremden verkaufe, so lange kein Gemeindsgenosse mehr sei, bis er wieder eine Liegenschaft in der Gemeinde gekauft und das Einzugsgeld von 60 Pfund erneut bezahlt habe (StArZH VI.HG.A.3.:15; Edition des entsprechenden Artikels: Stutz, Rechtsquellen, Nr. 22, S. 67-68). RiederPerson: konterte jedoch, dass er sich bereits vor dem Verkauf ein neues Haus gekauft habe und daher keinen Einzug schuldig sei. Die Obervögte räumten ein, dass RiedersPerson: Interpretation der Sachlage problematisch sei. Sie verurteilten ihn jedoch nur zur Zahlung von 40 Pfund an die Gemeinde; damit sollten beide Forderungen abgegolten und «vor ein und alle mahl ausgemacht» sein (StArZH VI.HG:A.4.:55; StAZH B VII 16.6, S. 72-74).

Editionstext


In vorgefallener injurien streitigkeit entzwüschent e eeiner ehrsamen
gemeind HönggOrganisation: an einer, danne Caspar RiederPerson: von daselbsten
an dem anderen theil, da untervogt nammens eeiner ganzen ehrsamen
gemeind klagend vorbringt, wie daß bemelter Caspar RiederPerson:
sich wegen gehaltener zusammenkonfft, betrefend daß zugrecht
zu seinem unterem 7ten julii verstrichenen jahrsDatum: 7.7.1762 an Felix
Berreüther
Person:
verkaufften haußes, sich so wohl als sein sohn Johannes
Rieder
Person:
im reden zimlicher maaßen vergangen und eeine ganzen
ehrsame gemeind eine lumpen, schölmmen, diebs gemeind
gescholten, worüber sich jedermäneglich beschwert und satisfaction
begehrt.
Als ward nach angehörten außagen a von
sekelmstrsekelmeister Ulrich MeyerPerson: und Heinrich NözliPerson: aus der
Vorderen WeidOrt: , welche ihne, Johannes RiederPerson: , wegen
seinen ohnerlaubt höchst schand- ald straffbahren reden überwisen, erkant, daß die scheltungen sollen oberkeitoberkeitlich
aufgehebt seyn, der Caspar RiederPerson: und sein sohn Johannes
Rieder
Person:
den untervogt Heinrich AppenzellerPerson: in beysein
samtlicher vorgesezten und stilland in dem gemeindhauß nammens der gemeind auf eine reüende und
anständige arth um verzeihung biten und sich fürohin
bescheidenlicher und vernünfftiger auffüehren. Des ÖttenbachsOrt:
und züchtigung an der stud solten sy vor distmahl
aus besonderen gnaden entlaßen seyn, jedanoch [S. 2]Seitenumbruch
15 Währung: 15 Pfund oberkeitoberkeitliche buͦeß nebst 2 Währung: 2 Pfund dem stattknecht bezahlen
und gleich vorigem1 eine außgemachte sach heisen und
seyn.

Actum donnerstag, den 26ten maii anno 1763Originaldatierung: 26.5.1763,
praestbspraesentibus
mnhghhAbkürzung herr rathsherr uund kirchenpfleger EscherPerson: ,
mnhghhAbkürzung rathsherr und alt amtman LeuPerson:

Canzley HönggOrt:
[S. 3]Seitenumbruch[S. 4]Seitenumbruch
[Vermerk auf der Rückseite:]
Urthelspruch:
Entzwüschent e eeiner ehrsamen gemeind
HönggOrganisation: an einem, danne wachtmeister Caspar RiederPerson: von daselbsten
an dem anderen theil.
Sub 26ten maii
anno 1763
Originaldatierung: 26.5.1763
.2

Anmerkungen

  1. Streichung: nach.
  1. Der Konflikt um das Zugrecht der Gemeinde wurde am selben Tag beigelegt (StArZH VI.HG.A.4.:55); der entsprechende Eintrag steht im Urteilprotokoll der Obervögte unmittelbar vor dem Eintrag zum vorliegenden Fall (StAZH B VII 16.6, S. 72-74).
  2. Hierbei handelt es sich um den Verweis auf den Eintrag im Urteilprotokoll der Obervögte von HönggOrt: (StAZH B VII 16.6, S. 74).