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SSRQ ZH NF II/3 49-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil: Rechte der Landschaft. Band 3: Die Landvogtei Greifensee, von Rainer Hugener

Zitation: SSRQ ZH NF II/3 49-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Klage der Leute von Greifensee über den Lebenswandel des Kaplans Burkhard Kochenrüblin

1508.

Die Leute von Greifensee klagen gegen ihren Kaplan Burkhard Kochenrüblin, dass er ein Urteil des Zürcher Rats über die Nutzung eines Guts missachte. An Feiertagen sei er häufig abwesend und halte keine Messe bei ihnen. Stattdessen gehe er ins Kloster Gfenn und an andere Orte. Auch seiner Pflicht, in der Kapelle Nänikon wöchentlich eine Messe zu lesen, komme er nicht nach, obwohl er dafür ausreichend bezahlt werde. Das Pfrundhaus lasse er zerfallen und wohne stattdessen in anderen Häusern. An Sonntagen miste er vor der Messe in den Ställen und melke die Kühe, worauf er mit ungewaschenen Händen an den Altar trete. Auch stehle er alles, was er tragen könne. Ausserdem verkehre er seit ungefähr zwölf Jahren mit seiner Tochter wie mit einer Ehefrau. Diese sage, sie kenne keinen anderen Mann, der so stolz sei, sie wolle lieber bei ihm liegen. Am vergangenen Heiligkreuztag (3. Mai) sei er nachts wieder bis zum Messgeläut bei ihr gelegen. Als man nach ihm geschickt habe, sei er aufgestanden und gleich zur Messe gegangen. Es gebe noch weitere Ereignisse, die man dem Rat jedoch nicht zumuten wolle.

  • Signatur: StAZH A 123.1, Nr. 28
  • Originaldatierung: 1508 (Undatiert, Datierung aufgrund des Zusammenhangs mit StAZH A 123.1, Nr. 27 und 29)
  • Überlieferung: Aufzeichnung (Einzelblatt)
  • Beschreibstoff: Papier
  • Format B × H (cm): 21.5 × 19.5
  • Sprache: Deutsch

Im Vorfeld der Reformation häuften sich vielerorts die Klagen über das lasterhafte Leben von Priestern und anderem geistlichen Personal. Gerade in ZürichOrt: wurden entsprechende Vorwürfe auch von der städtischen Obrigkeit geschürt, die zunehmend die Kontrolle über geistliche Institutionen anstrebte (Dörner 1996, S. 94-95; Stucki 1996, S. 186-188; Bless-Grabher 1995, S. 461, S. 464; mit protestantischer Polemik Egli 1896, S. 166-168, S. 173).

Die Vorwürfe gegen den Kaplan von GreifenseeOrt: , Burkhard KochenrüblinPerson: , waren jedoch besonders heftig. Gemäss der vorliegenden Beschwerdeschrift soll er nicht nur seine seelsorgerische Aufgabe vernachlässigt, sondern auch über mehrere Jahre hinweg Inzest mit seiner Tochter betrieben haben. Wie aus dem undatierten Text hervorgeht, wurde die vorliegende Klage nach den Vorfällen am Heiligkreuztag (3. Mai) verfasst und dem Zürcher RatOrganisation: vorgelegt. Wie dieser reagierte, ist unbekannt. Jedenfalls wurde die Angelegenheit im Sommer erneut vor dem Gericht in GreifenseeOrt: verhandelt, weil KochenrüblinsPerson: Tochter AnnaPerson: nun klagte, dass Felix DenzlerPerson: und Klaus StegerPerson: sie und ihren Vater mit Anschuldigungen betreffend Inzest, ungetreuer Amtsführung und Diebstahl beleidigt hätten, wofür sie zusammen mit ihrem Ehemann Ulrich Heuberger, genannt TöderPerson: , Wiedergutmachung verlangt (StAZH A 123.1, Nr. 29). Die beiden Beschuldigten gingen ihrerseits zum Gegenangriff über, indem sie HeubergerPerson: beschuldigten, er habe sie als Bösewichte und Lügner bezeichnet («zers bösswichtz und schelmen lu̍g»), worauf HeubergerPerson: entgegnete, dass er alle Leute so bezeichne, die behaupten, sein Schwiegervater habe mit seiner Tochter wie mit einer Ehefrau verkehrt (StAZH A 123.1, Nr. 27). Beide Fälle wurden durch den Vogt von GreifenseeOrt: beurkundet und an den Zürcher RatOrganisation: verwiesen, dessen Beurteilung schliesslich auf einer der beiden Urkunden festgehalten wurde: «Der und der ander gerichts handel sind gehört und durch tan, und ist mit TöderPerson: und siner frowen vor rat nach aller notturft geredt, hiefon ru̍ewig zuͦ sind. Actum mentags vor BartholomeyPerson: anno domini viijoOriginaldatierung: 9.8.1508, pntpresentibus hrAbkürzung burgburgermeister RöistenPerson: und beyd raͧtenOrganisation:

Wie mit dem beschuldigten Kaplan verfahren wurde, ist nicht bekannt. Möglicherweise wurde er seines Amts enthoben, denn aus einem anderen Streitfall im November 1508 geht hervor, dass zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Burkhard KochenrüblinPerson: , sondern Hans RöistPerson: als Kaplan in GreifenseeOrt: amtierte (SSRQ ZH NF II/3 50-1). Sicher ist, dass KochenrüblinPerson: vor 1516 verstorben ist, denn in diesem Jahr stand seine Tochter AnnaPerson: erneut vor Gericht wegen eines Zinses, den sie nach Meinung des Klägers von ihrem Vater geerbt hatte (StAZH A 123.1, Nr. 56).

Editionstext


Diß ist der von GryffenseOrt: klag u̍ber herr
Burckharten KochenruͤblinPerson: , capplan zuͦ GryfenseOrt:

Item mine herren hand unß ein urteil geben von einß guͦtz wegen, das
sol er uß lassen ligen, wenn stoͤfel u̍bergang, das wil er nit tuͦn.
Item her BurckartPerson: ist schuldig, zuͦ den zyten uff firlich tag und uff heilig zit me[ß]Beschädigung durch Beschneidung (am Blattrand), sinngemäss ergänzta
ze GriffenseOrt: zehand, das tuͦt er nit und gat in das GfennOrt: und a[n]Sinngemäss ergänztbderschwo
hin und lat unß an meß und seit unß nit, das wir ande[rsw]Beschädigung durch Loch, sinngemäss ergänztco hin ze kilchen
gangind. Er ist ouch schuldig, all wuchenWiederholte Zeitspanne: 1 Woche ein meß ze Nen[ik]Beschädigung durch Loch, sinngemäss ergänztdenOrt: zelesen, das tuͦt
er ouch nit und nimpt da von ein groß pfruͦnd in und k[oufft]Beschädigung durch Loch, sinngemäss ergänzte ander huͤser
und ist in den selben und lat der pfruͦnd huß zergan und lit in sinen guͤter[n]Beschädigung durch Beschneidung (am Blattrand), sinngemäss ergänztf
an allen heiligen tagen und ru̍tUnsichere Lesungg und zu̍nt und scherhuBeschädigung durch Falt, unsichere Lesunghffet und gauftzBeschädigung durch verblasste Tinte, unsichere Lesungi,
kein firtag ußgenommen, und an suntagenWiederholte Zeitspanne: 1 Woche vor der meß kotet er und
mistet die stell und milcht die kuͤ und gat glich mit ungeweschnen
henden über altar, dar zuͦ sind wir deß unsren nyemer sicher, weder
tagZeitspanne: tags noch nachtZeitspanne: nachts, was er tragen mag.
Item so brucht er ein groben handel mit siner dochter. By der lit er, wieBeschädigung durch verblasste Tinte, unsichere Lesungj
sy sin wib syg, und hat das triben me denn xij jarZeitspanne: 12 Jahre, und ist im dick und
vil gewert von sinen guͦten gu̍nnern, hat sich nie wellen da vor
huͤten. Und rett sy, sy wiß noch hüt by tag kein man so stoltz, sy well
lieber by im ligen, und ist doch ein mensch, die sich su̍nst ouch nid spart.
Und uff yetz, deß heiligen krütz tagDatum: 3.5.1508,1 ist er die nachtZeitspanne: nachts by ir gelegen und hat
nit von ir uff wellen, untz das sy luff ze meß lu̍ten, das beschoß als
nu̍t, untz das zuͦ im geschickt ward, ob er welt meß han oder nit.
Do stuͤnd er uff und lu̍ff glich genKorrektur überschrieben, ersetzt: mk meß han. Und vil handel, die
wir vor minen herren nit hand erzelt von der hellung wegen min[er]Beschädigung durch Beschneidung (am Blattrand), sinngemäss ergänztl
herren, und git weder umb die nachburen noch umb den vogt
nu̍t, dar umb im die pfruͦnd glichen ist, das er uff ein vogt warten
solt.
[fol. v]Seitenumbruch

Anmerkungen

  1. Beschädigung durch Beschneidung (am Blattrand), sinngemäss ergänzt.
  2. Sinngemäss ergänzt.
  3. Beschädigung durch Loch, sinngemäss ergänzt.
  4. Beschädigung durch Loch, sinngemäss ergänzt.
  5. Beschädigung durch Loch, sinngemäss ergänzt.
  6. Beschädigung durch Beschneidung (am Blattrand), sinngemäss ergänzt.
  7. Unsichere Lesung.
  8. Beschädigung durch Falt, unsichere Lesung.
  9. Beschädigung durch verblasste Tinte, unsichere Lesung.
  10. Beschädigung durch verblasste Tinte, unsichere Lesung.
  11. Korrektur überschrieben, ersetzt: m.
  12. Beschädigung durch Beschneidung (am Blattrand), sinngemäss ergänzt.
  1. Da die vorliegende Beschwerdeschrift vor der Behandlung durch den Zürcher RatOrganisation: im August 1508 entstanden sein muss, ist wohl der Tag der Kreuzauffindung am 3. Mai gemeint, nicht der Tag der Kreuzerhöhung am 14. September.