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SSRQ ZH NF I/1/11 22-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Erste Reihe: Stadt und Territorialstaat Zürich. Band 11: Gedruckte Mandate für Stadt und/oder Landschaft Zürich, von Sandra Reisinger

Zitation: SSRQ ZH NF I/1/11 22-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Gültordnung der Stadt Zürich

1653 April 13.

Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich erneuern die Ordnung betreffend Gülten und Schuldbriefe. Grundsätzlich verboten sind wucherische Praktiken (1). Naturaliengülten sind künftig nicht mehr erlaubt und auf neuen gemeindeeigenen Feldern oder Reben darf nur die Obrigkeit einen Grundzins verlangen (2, 3). Ablösungen von Gülten dürfen nicht mit Naturalien, sondern nur mit Bargeld erfolgen. Aufgrund des momentanen Geldmangels sollen Ablösungen aber nur dann stattfinden, wenn es absolut notwendig ist. Der Zinssatz beträgt maximal 5 Prozent (4). Alle Zinsverträge sollen durch einen ordentlichen Schreiber ausgestellt werden. Der Schreiber ist zudem für die Führung von Protokollen und Verzeichnissen verantwortlich. Nicht ordnungsgemäss ausgestellte Verträge dürfen von den entsprechenden Amtspersonen nicht besiegelt werden (5). Zettel oder durch die Vertragsparteien selbst erstellte Handschriften sollen zwar weiterhin Gültigkeit haben, aber in Zukunft nicht mehr ausgestellt werden (6). Zuwiderhandlungen gegen diese Bestimmungen werden bestraft.

Obwohl bereits in der Gültordnung von 1529 (SSRQ ZH NF I/1/11 6-1) Naturaliengülten verboten worden waren und dies bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts in den Grossen Mandaten mehrfach wiederholt wurde (beispielsweise im Grossen Mandat von 1650, StAZH III AAb 1.4, Nr. 22), waren um 1653 weiterhin Geld- und Naturaliengülten in Gebrauch, sodass die Zürcher ObrigkeitOrganisation: erneut eine Gültordnung erliess. Die stereotypen Wiederholungen der Zahlungsaufforderungen der schuldig gebliebenen Schuld-, Gült- und Grundzinsen an viele Bauern bis Ende des 17. Jahrhunderts hingen ausserdem damit zusammen, dass die Zahlungsunfähigkeit der Bauern gerade bei Missernten oder Teuerungswellen bedenkliche Auswirkungen auf die städtischen Finanzen haben konnte. Im Dreissigjährigen Krieg blieben die Zinseinnahmen der Stadt ZürichOrt: weitgehend konstant. Aus den Einnahmen der hohen Wein- und Getreidepreise, aus den Bundesgeldern und der Kriegssteuer von 1622 hatte sich eine weitgehende Tilgung der städtischen Schulden ergeben. Die niedrigen Getreidepreise und die stockenden Pensioneneinnahmen in der Nachkriegszeit hatten jedoch negative Auswirkungen auf die städtischen Finanzen. Hinzu kam, dass die Bauernaufstände (WädenswilerOrt: Unruhen, Bauernkrieg) und die Glaubenskonflikte (Villmergerkrieg, Wigoltingerhandel) sowie der Schanzenbau zu beträchtlichen Ausgaben der Stadt ZürichOrt: führten.

Am 21. März 1653 beauftragte der Rat eine Kommission, einen Ratschlag bezüglich der Erstellung von Gültverträgen (Zinsbriefe), Zinszahlungen und der Bekämpfung des Wuchers zu erstellen. Bereits am 13. April desselben Jahres erliess der Zürcher RatOrganisation: das vorliegende Mandat, welches wahrscheinlich infolge des verfassten Ratschlags erlassen wurde. In der älteren rechtsgeschichtlichen Forschung wurde das vorliegende Mandat als Wendepunkt in der Geschichte des zürcherischen Fertigungsrechts (Escher 1907, S. 132) bezeichnet, da damit der Beginn der späteren Notariatsprotokolle gelegt worden sei. Werner Debrunner konnte allerdings nachweisen, dass bereits seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ansatzweise Sammlungen von protokollarischen Fertigungen angelegt wurden (Debrunner 1972, S. 68). Ausserdem sind bereits in der Gültordnung von 1529 Protokolle, welche die Schreiber anlegen mussten, erwähnt (SSRQ ZH NF I/1/11 6-1). Die Landschreiberordnung von 1710 legte schliesslich erneut fest, dass die Protokolle gewissenhaft geführt und unaufgefordert an den jeweiligen nachfolgenden Landschreiber übergeben werden sollen (StAZH III AAb 1.7, Nr. 75).

Zu den Gülten und Notariatsprotokollen vgl. HLS, Agrarverschuldung; HLS, Gült; Debrunner 1972; Sigg 1971, S. 28-29 und 143-145; Escher 1907; Wyss 1861.

Editionstext

Mandat und Ordnung den Wucher: auch das anlegen der Zins-brieffen / und andere daran hangende sachen betreffend

Holzschnitt

Im M DC L III. Jahre.Datum: 1653

[fol. 1v]Seitenumbruch [fol. 2r]Seitenumbruch

Wir Burgermeister und Raht der Statt ZürichOrt: Organisation: / entbietend allen und jeden den unseren in unseren Staͤtten / Landen / Grichten und Gebieten wohnhafft / unseren guͤnstigen geneigten willen und gruͦß / auch darby zuvernemmen. Demnach wir ryfflich zuhertzengenommen / was maassen unsere hiebevor vilfaltig / und grad auch in unserem unlangst a–widerum berneüwertemKorrigiert aus: widerumb erneüwertem–a grossen Mandat1 / wider den hochschaͤdlichen / und sonderlich dem gmeinen armen Mann sehr beschwerlichen / in underschidenlichen dingen benantlichen aber auch by dem anlegen und verzinsen der Gült- und Schuldbriefen / sich erscheinenden wuͦcher / gemachte und ußgangne guͤte Christenliche Satz- und Ordnungen die zytharo von vilen eben schlechtlich beobachtet / daß wir daruf in yferiger betrachtung / welcher gestalten eben auch durch solchs fürbrechendes wuͦcherisches tuͦhn und wesen / im Land Gottes saͤgen vertriben / hingegen syn schwere straaff und fluͦch endlich behollet wurd / uß hoch Oberkeitlicher sorgfalt und pflicht / auch gantz vaͤtterlicher wolmeinung / zu bestem unserer getreüwen lieben Angehoͤrigen / samt und sonders / hierinn gebuͤrendes yn[fol. 2v]Seitenumbruchsehen zethuͦn / und derglychen yngerißnen mißbrüchen / mit erforderlicher verbesserung zubegegnen / hoch nohtwendig befunden:

[Marginalie am linken Rand:] Gmeine vermahnung wider den Wuͦcher.

[1] Tuͦhnd deßwegen hieruff maͤnniglichen der Unseren ernstlich und treffenlich hiemit verwahrnen und vermahnen / sich forderist ins gemein / vor allen und jeden unbillichen vortheiligen wuͦcherischen gesuͤchen / griffen und Finantzereyen / es seye im ußlyhen / kauffen / verkauffen und sonsten allem anderen tuͦhn und handel / gaͤntzlich zuhuͤten / hingegen mit und gegen synem naͤchsten und nebend-menschen der Christenlichen Liebe / gebür / billichkeit und bescheidenheit gmaͤß zuhandlen / wie es Gottes wort / auch jedesse guͦt gewüssen / Christenliche / Burger- und Landliche pflicht in allweg erforderet / und in angedeütem Unserem grossen Mandat mit mehrerem / fast erinnerlich angezogen und vermeldet ist.

[Marginalie am linken Rand:] Frücht und Wyn gülten.

[2] Demnach soͤllend keine Kernen / Haber / Roggen / Weitzen / Wyn / oder derglychen Gülten / weder mit parem gelt / noch sonsten in einich wyß und weg gemachet werden / sonder dieselben hiemit gaͤntzlich verbotten und abgestrickt syn.

[Marginalie am linken Rand:] Grundzins uff newe Felder oder raͤben.

[3] Nit weniger / alllwo uß Gmeind- oder anderen Hoͤltzeren neüwe Felder gemachet / ald Raͤben yngeschlagen werdend / niemand ussert Uns / einichen Grundzinß daruff schlagen / und ob glych etwann andere Geist- oder Weltliche Staͤnd / auch [fol. 3r]Seitenumbruch Grichtsherren / oder sonderbare personen / in ald ussert dem Land gesessen / zu derglychen etwas rechtsamme zuhaben vermeinen wurdend / dieselben jedoch soͤlches vor und ehe nit tuͦhn moͤgen / sy habend sich dann by Uns / alß der hohen Oberkeit umb bewilligung angemeldet.

[Marginalie am rechten Rand:] Anlegen der Zinsbriefen.

[4] Was dann drittens die Geltzinß betreffen tuͦht / da ist hiemit Unser ernstlicher gaͤntzlicher will / meinung und Gebott / mit nammen / daß fürohin keine Zinßbrieff / mit früchten / wynen / vych noch anderen wahren oder übergebenden schulden / sonder allein mit guͦtem parem gelt / ohne einichen abbruch / hundert für hundert in allen treüwen / und zwar uff widerloͤsung gemacht und angelegt / auch darvon nit mehr / dann fünfMenge: 5 von hundertMenge: 100 / das ist / je von zwaͤntzig guldinWährung: 20 Gulden / ein guldinWährung: 1 Gulden / innhalt Unserer alten Satzungen / zu jaͤhrlichemWiederholte Zeitspanne: 1 Jahr zinß gefordert und genommen / hinwiderumb aber auch in allen treüwen / müglichster maassen / richtig uff zil und tag zinset und zahlt / umb das überwarten aber der verfallnen Haubtguͤteren / einicher mehr schatz oder mehr besser / nit geforderet noch genommen / sonder solcher hiemit auch gaͤntzlich aberkent syn und blyben / und nüt desto weniger ehrlichen lühten by disem grossen geltmangel / mit dem ynzug der Haubtguͤteren / wo die Schuldglaͤubiger solcher nit unvermydenlich vonnoͤhten / darumb aber gnuͦgsam [fol. 3v]Seitenumbruch versicheret sind / nach hievorigen Unseren erlüterungen uffgehalten und verschohnet werden.

[Marginalie am linken Rand:] Fergung der Zinsbrieffen.

[5] Und damit nun by uffrichtung ob angedüter Briefen allerhand gfehrd / beschiß / wuͦcher und betrug desto mehr vorgebogen werden moͤge / so habend Wir geordnet und angesehen auch uns dessen erlüteret und erkent: Namlich / daß fürohin uff Unser Landschafft / alle Brief umb gelt-anliehungen und kaͤuff / allwegen / wo es immer syn kan / vor Gricht / oder wenigsts / durch die bestellten / ordenlichen Schryber / jedes orts ufgericht / dieselben aber von deßwegen schuldig und verbunden syn / hierumb gewüsse / ordenliche und flyssige protocoll und verzeichnussen zuhaben und zuhalten / auch solche allwegen jedem nachfahren / zur nachricht überantwortet werden / auch jeder sich des gemachten Schryber-Taxes vernuͤgen / und nützid darüber / aber wol darunder und minder zulohn forderen und nemmen moͤgen / was aber hingegen von anderen Schryberen / wer glych dieselben werend / fürbaß geschriben / und nit von jeden orts bestelltem ordenlichem Schryber underschriben wurde / das solle gar nit moͤgen besiglet werden.

Und damit diß alles desto mehr bestand haben moͤge / so ist hiemit Unser meinung / daß sich diser Unseren wolmeinlich angesehnen Ordnung / nit allein Unsere Voͤgt / sonder auch aller und jeder Grichtsherren auch Prelaten / Weibel und Be[fol. 4r]Seitenumbruchamptete in Unseren Landen in allweg beflyssen / und gar keine Brieff / so also unseren Mandaten Und Satzungen zuwider sind / besiglen / oder so es künfftig beschehe / sollich Brieff und Verschrybungen gantz ungültig und unkraͤfftig syn;

[Marginalie am rechten Rand:] Ußgeschnittne Zedel / und Handtschrifften.

[6] Alß auch über das / die zythar / umb ußgelihene Gelter und angelegte Zinß / an statt formbklicher Briefen / nur ußgeschnittne Zedel ald Handschrifften gemacht worden / die der Haubtschuldner etwann selbs geschriben und auch besiglet / damit aber des Datums halber allerley gefahren gebrucht worden / sollen dieselben zwaren (so sy in anderen Briefen ordenlich vorgesetzt) in ihrem wehrt verblyben / die aber fürs künfftig gemacht / und in anderen Briefen nit ordenlich vorgesetzt / wie auch andere Obligationen Brief und Verschrybungen / so wider Unsere Satzungen uffgericht und geschriben werden moͤchtend / nit mehr anderst alß für einfalte Handschrifften in ufffaͤhlen gehalten werden und gelten moͤgen.

Diß alles nun lassend Wir hiemit zu aller und jeder Unser Angehoͤrigen / ze Statt und Land zu gebürender nachricht offentlich verkünden / mit nachmaligem ernstlichem verwahrnen / daß diserem Unserem wolmeinenden / und umb ihr aller gmeinen und sonderen bestens willen / angesehener hochnohtwendiger Ordnung / alß ob deren Wir mit allem ernst / und mehr alß vor disem gehalten [fol. 4v]Seitenumbruch haben woͤllend / in allweg geflissen / getreüwlich und gehorsamlich nachkommen / gelebt und statt getahn werde / dann da widrigen falls sich jemands hierunder so wyt ubersehen / daß uff den einen ald anderen billiche klaͤgten kommen und erscheint wurdend wir dieselben / ohne ansehen der Personen / nach gstaltsamme der sachen / ernstlich handhaben und straaffen / ja sollicher maassen gegen ihnen verfahren / daß andere ein exempel und billiches scheuhen darby fassen und haben soͤllind / darnach wüsse sich maͤnnigklicher zuverhalten und ihme selbsten vor schaden und ungelegenheit zusyn.

Geben Mittwochs / den dryzehenden tag Aprellen / von der Geburt Christi / unsers lieben Herren und Heilands gezalt / ein tusent sechs hundert fünftzig und drü JahreOriginaldatierung: 13.4.1653 ().

Anmerkungen

  1. Korrigiert aus: widerumb erneüwertem.
  1. Hier wird auf das Grosse Mandat von 1650 verwiesen (StAZH III AAb 1.4, Nr. 22, S. 63-67).