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SSRQ ZH NF I/1/11 38-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Erste Reihe: Stadt und Territorialstaat Zürich. Band 11: Gedruckte Mandate für Stadt und/oder Landschaft Zürich, von Sandra Reisinger

Zitation: SSRQ ZH NF I/1/11 38-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Mandat der Stadt Zürich betreffend Grenzkontrollen und sanitätspolizeiliche Massnahmen wegen ansteckenden Krankheiten in Ungarn, Niederösterreich, Böhmen und Deutschland

1713 Oktober 5.

Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich erlassen aufgrund der Seuchengefahr an verschiedenen Orten Europas ein erneuertes Sanitätsmandat mit acht Artikeln. Zunächst wird verordnet, dass Personen, Waren und Tiere aus verdächtigen Orten nicht einreisen dürfen, auch wenn sie über einen Gesundheitsschein verfügen (1). Eine Ausnahme gilt für sächsische Wolle und Wollwaren, welche im erforderlichen Gesundheitsschein aus Leipzig aufgeführt sind sowie eine Zeit lang in der Quarantäne an den Grenzen aufbewahrt wurden (2). Für Briefe gilt, dass sie vor der Verteilung geräuchert werden müssen (3). Festgelegt wird zudem die Form und der Inhalt von ordentlichen Gesundheitsscheinen und Pässen für Personen und Waren (4, 7). Reisen müssen grundsätzlich auf der offenen Landstrasse erfolgen. Personen, die auf Nebenstrassen oder kleinen Schiffen reisen, wird nicht nur die Beherbergung verweigert, sondern sie können auch bestraft werden (5). Verdächtige Personen wie Bettler, Landstreicher, desertierte Soldaten und Juden dürfen nicht einreisen. Falls ihnen die Einreise trotzdem gelingt, müssen sie auf Kosten der entsprechenden Gemeinde oder Stadt ausgewiesen werden (6). Zuletzt werden ausreisende Personen ermahnt, auf der Stadtkanzlei oder auf dem Land bei den Pfarrern, Vögten und Amtleuten einen Gesundheitsschein zu holen. Der Schein wird Handwerkern und Landleuten kostenlos ausgeteilt, gilt jedoch zum Zweck der Betrugsverhinderung nur 14 Tage (8).

Die seit dem 14. Jahrhundert auf eidgenössischemOrt: Gebiet stattfindenden Pestwellen endeten nach 1670. Wie gross die obrigkeitliche Besorgnis allerdings noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts war, zeigen die Reaktionen des Zürcher RatsOrganisation: auf die Pestepidemie von 1708 bis 1714, die sich in weiten Teilen DeutschlandsOrt: , ÖsterreichsOrt: und OsteuropasOrt: ausbreitete. Allein im Jahr 1713 wurden neben dem vorliegenden Mandat vier weitere Mandate, die inhaltlich weitgehend identisch sind, gedruckt (StAZH III AAb 1.8, Nr. 24; StAZH III AAb 1.8, Nr. 26; StAZH III AAb 1.8, Nr. 27; StAZH III AAb 1.8, Nr. 30).

Wichtigster Bestandteil der obrigkeitlichen Massnahmen waren die seit dem 17. Jahrhundert verhängten Grenzsperren («Bando»), die zu Einschränkungen im Handels- und Personenverkehr führten. Zur Durchsetzung dieser Bestimmungen wurde an den Grenzen des zürcherischenOrt: Herrschaftsgebiets Wachpersonal eingesetzt, das die Bescheinigungen der einreisenden Personen und Waren kontrollieren, gegebenenfalls eine Quarantäne einrichten und in verdächtigen Fällen die Durchfahrt verweigern musste. Die Handelseinschränkungen wurden von anderen eidgenössischen Orten nicht immer erfreut aufgenommen (vgl. beispielsweise die Konferenz der Orte SchwyzOrt: , UnterwaldenOrt: und ZugOrt: vom September 1713, EA, Bd. 7/1, Nr. 32d, S. 41).

Handelssperren konnten zudem als Druckmittel gegenüber anderen Orten eingesetzt werden. So liess der Rat am 21. August 1713 in einer Sitzung verlauten, dass man die getroffenen Präventionsmassnahmen der Drei BündeOrt: als nicht genügend wirksam erachtete, weswegen angedroht wurde, dass mithilfe der Landvögte von SargansOrt: und dem RheintalOrt: eine Handelssperre errichtet werden solle (StAZH B II 723, S. 72-73; vgl. für das RheintalOrt: SSRQ SG III/3, Nr. 251). Das Einreiseverbot von Gütern und Personen aus dem Gebiet der Drei BündeOrt: wurde schliesslich im vorliegenden Mandat umgesetzt.

Zuständig für die Ausarbeitung von Ratschlägen und Mandatsentwürfen zur Verhinderung von Seuchenausbrüchen war seit dem 16. Jahrhundert der periodisch eingesetzte SanitätsratOrganisation: . Diesem Gremium gehörten neben Ratsmitgliedern auch der Stadtarzt und weitere Ärzte an. Der SanitätsratOrganisation: führte zum Zweck der Seuchenprophylaxe häufig Korrespondenz mit zahlreichen Handelsstädten der EidgenossenschaftOrt: und EuropasOrt: (vgl. StAZH A 70.7). So wurde in der Ratssitzung vom 21. August 1713 der Stadtarzt Johannes von MuraltPerson: angewiesen, weiterhin mit verschiedenen Orten bezüglich der Seuchenprävention brieflich zu kommunizieren (StAZH B II 723, S. 73). Ausserdem sollte der SanitätsratOrganisation: wegen der Pestgefahren eine Weisung ausarbeiten, die der Zürcher RatOrganisation: am 6. September in einer Sitzung besprach und dabei den Neudruck des Sanitätsmandats beschloss (StAZH B II 723, S. 88-89). Nachdem das Mandat mit dem Datum vom 7. September 1713 gedruckt wurde, arbeitete der SanitätsratOrganisation: bereits am 2. Oktober einen neuen Mandatsentwurf aus (StAZH A 70.7), der nur wenige Tage später als vorliegendes Mandat gedruckt wurde. Im Vergleich zum Mandat vom September gibt es im vorliegenden Exemplar zwar neu eine Nummerierung der einzelnen Artikel, der Inhalt der beiden Mandate ist aber weitgehend identisch.

Ab Mitte des 18. Jahrhunderts nahmen die Bedrohungen der Pest ab und der SanitätsratOrganisation: verlagerte seine Bemühungen auf die Prävention von Tierseuchen (vgl. beispielsweise das Mandat gegen die Viehseuchen von 1763, SSRQ ZH NF I/1/11 60-1). Ausserdem weitete sich das Wirkungsfeld des SanitätsratsOrganisation: im 18. Jahrhundert zunehmend auf Bereiche wie beispielsweise die Nahrungsmittelkontrolle, Giftpolizei, Kinderfürsorge und die Hundepolizei aus. Die Abgrenzung zu anderen medizinischen Gremien, wie die WundschauOrganisation: (vgl. SSRQ ZH NF I/1/11 64-1), war jedoch nicht immer klar geregelt und gab deswegen häufig Anlass zu Auseinandersetzungen.

Zur Seuchenbekämpfung und dem Zürcher SanitätsratOrganisation: vgl. HLS, Pest; Weibel 1996, S. 28-29; Brändli 1990, S. 49-50; Wehrli 1934a, S. 88-91; Wyss 1796, S. 247-248.

Editionstext


Wir Burgermeister und Raht der Stadt
ZuͤrichOrt:
Organisation:
: Thund kund maͤnniglich hiemit; Demnach Uns die sichere und traurige Berichte eingeloffen / wie daß eine gefaͤhrliche ansteckende Kranckheit in UngarnOrt: / Nider-OesterreichOrt: / BoͤhmenOrt: / BaͤyernOrt: und anderen Orten TeutschlandsOrt: / sonderlich auch RegenspurgOrt: und StraubingenOrt: / sich von Tag zu Tag je laͤnger je staͤrker zeigen / und einer Lobl.Loblichen EidgnoßschafftOrt: annaͤheren thuͤge / Wir zur Verwachung und Abhaltung solch schweren Uebels von Unserem liebwaͤrthen Vatterland auß Landsvaͤtterlicher Sorgfalt bewogen worden seyen / Unsere vormahls schon in Truck verfertigte
SanitSchriftwechselaͤts-Vorsehung nicht allein von Neuem wider herauß zugeben / sondern bey wuͤrcklich zunemmender Gefahr auch zuverschaͤrffen / und zu jedessen
Nachricht an gewohnten Orten der Stadt anschlagen / zu Land aber ab offener Cantzel verlesen zulassen; ordnen und setzen hiemit daß.

Erstlichen / die unter den Stadt-Porten und an den Graͤntzen bestellte CommissariiSchriftwechsel bey Eidlicher Pflicht keine ankommende Personen / Wahren /
Guͤter und Vieh / welche von UngarnOrt: / Nider-OesterreichOrt: / SteyrmarckOrt: / BoͤhmenOrt: / SchlesienOrt: / MaͤhrenOrt: / BaͤyerenOrt: / RegenspurgOrt: / HamburgOrt: / und anderen
verdaͤchtigen Orten / so von Uns Ihnen von Zeit zu Zeit werden wuͤssenhafft gemacht werden; Deßgleichen auß gemeinen 3 PuͤndtenOrt:
in Unser Land und Gebieth / sie seyen gleich mit Gesundheits-scheinen1 versehen oder nicht einlassen / sondern selbige an die zur erforderlichen QuarantaineSchriftwechsel haltung bestimte Oerter zuruck weisen sollen

Zum Anderen / verbannisieren Wir alliglichen alle Federen / sie moͤgen seyn von wannen sie wollen / deßgleichen alle von angesteckten Orten kommende
Juchten / Peltz / BoͤhmischeOrt: / PolnischeOrt: und SchlesischeOrt: Wullen und Wullen-Wahr / dergestalten daß keine dergleichen nicht hinein gelassen werdind;
jedoch mit diser Erleuterung / daß die SaͤxischeOrt: Wullen und Wullen-Wahr so mit erforderlich Eidlichen Scheinen auß LeipzigOrt: versehen / nach derer
an Unseren Graͤnzen verordneter Orten außgestandener QuarantaineSchriftwechsel bis auf weitere Verordnung wol koͤnnend eingelassen werden.

Drittens / daß fuͤrohin keine Briefe so nicht geraͤucheret / auf den Graͤnzen abgenommen / auch keine auß hiesigem Posthauß ohne nochmahlige Beraͤucherung außgetheilt oder vertragen werden sollind.

Viertens / denen Personen aber so auß gefunden und ohnverdaͤchtigen Orten harreisen / darunter auch die Zusamenwandlende EidgnossenOrganisation: gemeint / solle der Eingang unsers Lands / anderst nicht zugestanden werden / als auf Vorweisung erforderlicher Gesundheitsscheinen / daß sie von gesunden Orten kommen und passiert; mit abermahliger Erleuterung / daß in den aussert der EidgnoßschafftOrt: außgetheilten personalSchriftwechsel Paͤssen / die Kleidung /
Statur / Alter / Bart und farb der Haaren / außgetruckt / auch daß diesere Paßscheine von denen geordneten CommissariisSchriftwechsel von Ort zu Ort wo sie durchpassiert / unterzeichnet seyn sollen.

Fuͤnftens / sollen alle Reisende Personen nndKorrigiert: unda Fuhren / sich der offnen gemeinen Landstrassen allein bedienen / und alle Beyweg kleine Schiff beschlossen und abgestellt seyn; und so jemand sich erfraͤchen wurde / durch solche Nebenweg und kleine Schiff durchzutringen / sollen solche nicht nur von Niemandem beherbriget / sonder je nach Beschaffenheit der Sach bey hoher ja gar Leib und Lebensstraff gebuͤßt werden; Zu dessen beflißner Bewerckstelligung werden Unsere verordnete geliebte Mit-Raͤth und Quartier-Haubtleuth die von ihnen bestellten PatrouillesSchriftwechsel bey hoher Straff und Ungnad
dahin halten / daß sie die Gesundheits-Ordnungen aller Orten geflissenlichst beobachten thuͤgind.

Sechstens / Befehlen und Gebieten Wir / daß alles Baͤttelgesind / Landstreicher / außgerissene Soldaten / Juden / und sonst andere verdaͤchtige Leuth /
sie haͤtten gleich Paͤß oder nicht / mit allem Ernst abgewisen werden sollen / solten aber dergleichen in dem Land betretten werden / so ist Unser Will / daß
solche auf Kosten derjenigen Stadt oder Gemeind da diser Fehler begangen / von Dorff zu Dorff widerum auf die Graͤntzen gefuͤhret / und die eint und
andere Uebertrettere noch fehrnere schwehre Buß zugewarten haben sollen.

Sibendes / denjenigen Wahren so auß ohnverdaͤchtigen Orten an Unsere Graͤntzen kommen / und mit Eidlichen AttestationSchriftwechselen und Paͤssen versehen / darinnen aber die Gattung der Wahren deßgleichen die Zeichen und Nummeren der Ballen / auch wie lang sie an disen Orten gelegen / und daß
sie daselbst gepackt / außgetruckt seyen / werden Wir den Eingang in Unser Land zustehen jedoch mit Vorbehalt der hierob in dem Zweyten Articul bedeuteten SaͤxischenOrt: Wullen / und Wullen-Wahren.

Letstlichen wollen Wir auch maͤnniglich zu Statt und Land / verwahrnet haben / weilen uͤbrige Ort der EidgnoßschafftOrt: niemand ohne Gesundheits-schein werden passieren lassen / daß sie zu verhuͤtung alles Ohngemachs bey Außgang auß Unseren Landen sich hier in hiesiger Statt-CantzleyOrganisation: /
oder auf dem Land bey denen Pfarreren / Voͤgten und Ambtleuthen / mit ordenlichen Gesundheits-scheinen versehen lassend / und sollen solche den Handwercks- und Landleuthen umsonst außgetheilet / und zu vermeidung alles Betrugs 14 TagZeitspanne: 2 Wochen lang guͤltig erkennt werden. Worbey ein jeder auch selbsten mit eiferigem Gebett Gott um Abwendung dieses und alles Uebels von Unserem lieben Vatterland anzuflehen / und diesem allem fleissig nachzuleben vermahnet wird. Geben den 5. Tag OctobrOctobris 1713Originaldatierung: 5.10.1713.
Cantzley der Stadt ZuͤrichOrt: Organisation: .
[fol. v]Seitenumbruch
[Vermerk auf der Rückseite oben links von Hand des 18. Jh.:]
Sanitet-[mandat]Beschädigung durch Beschneidung (am Blattrand), sinngemäss ergänztb
wegen der con[tagion]Beschädigung durch Beschneidung (am Blattrand), sinngemäss ergänztc
RegenspurgOrt: anno
5. octoctobris 17[13]Beschädigung durch Beschneidung (am Blattrand), sinngemäss ergänztd

Anmerkungen

  1. Korrigiert: und.
  2. Beschädigung durch Beschneidung (am Blattrand), sinngemäss ergänzt.
  3. Beschädigung durch Beschneidung (am Blattrand), sinngemäss ergänzt.
  4. Beschädigung durch Beschneidung (am Blattrand), sinngemäss ergänzt.
  1. Ein solcher Gesundheitsschein vom 4. September 1713 findet sich unter StAZH A 70.7.