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SSRQ ZH NF I/1/11 98-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Erste Reihe: Stadt und Territorialstaat Zürich. Band 11: Gedruckte Mandate für Stadt und/oder Landschaft Zürich, von Sandra Reisinger

Zitation: SSRQ ZH NF I/1/11 98-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Verordnung der Stadt Zürich betreffend Entrichtung des Zehnten beim Kartoffelanbau

1795 Juni 4.

Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich erlassen eine Verordnung betreffend Kartoffelzehnt. Kartoffeln, die auf den Hauptzelgen und in den Einschlägen angepflanzt werden, sind weiterhin zehntpflichtig. Die Schätzung für die Zehntabgabe wird in diesem Jahr für 20 Viertel Kartoffeln festgesetzt. Weiterhin wird verordnet, dass Kartoffeln, die auf den Brachfeldern, Wiesen, Kräutergärten, Hanfbünten, Rodungsflächen, Weiden, Rebbergen, Gärten und auf dem Gemeindeland angebaut werden, von der Zehntabgabe befreit sind. Auf Brachfeldern muss allerdings für alle anderen Pflanzen der Zehnt geleistet werden. Auf Matten, die neu aufgebrochen wurden, soll zudem weiterhin das sogenannte Heugeld als Zehntersatz bezahlt werden.

Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurden in ZürichOrt: zunehmend Kartoffeln angepflanzt. Gefördert wurde der Kartoffelanbau vor allem durch die Mitglieder der Ökonomischen KommissionOrganisation: der Naturforschenden Gesellschaft ZürichOrt: Organisation: . Zusammen mit der Einführung des Kleeanbaus (vgl. Mandat betreffend Kleesamenverkauf von 1788: SSRQ ZH NF I/1/11, Nr. 92) und der Sommerstallfütterung sollte der Kartoffelanbau insbesondere während Hungerkrisen, die sich aus Teuerungen und Getreideversorgungslücken ergaben, die Landwirtschaft reformieren und Nahrungsmittelengpässe vermeiden.

Der Anbau von Kartoffeln warf die Frage auf, ob und inwiefern Kartoffeln zehntpflichtig waren. Nachdem mehrere Bauern aus der Gemeinde FischenthalOrt: im Jahre 1750 die Abgabe des Kartoffelzehnten erstmals verweigert hatten, entschied die Obrigkeit, dass der Kartoffelanbau grundsätzlich zehntpflichtig sei. Lediglich beim Eigenanbau in den Gemüsegärten musste keine Abgabe geleistet werden. Wurden Kartoffeln auf Wiesen angebaut, musste das sogenannte Heugeld als Ersatz bezahlt werden. Obwohl dieser Entscheid massgebend für die Zürcher Zehntpolitik war, kam es in der Folge zu Unklarheiten und Konflikten betreffend den Kartoffelzehnt. Mit dem Mandat vom 13. Februar 1779 wurde verordnet, dass der Kartoffelanbau auf Wiesen von städtischen Zehntbezirken, deren Fläche maximal ein halber Viertel betrug, abgabefrei sein sollte (StAZH K II 75 a, Mappe 11).

Um der Teuerung und der Hungerkrise von 1793 bis 1795 entgegenzuwirken, versuchte die ZürcherOrt: Obrigkeit den Kartoffelanbau zu fördern. Dies geschah vor allem durch zeitlich begrenzte Zehnterleichterungen bei der Anpflanzung von Kartoffeln in einzelnen Gemeinden. Am 16. Dezember 1794 liess der RatOrganisation: ein Mandat drucken, worin der Kartoffelanbau in den städtischen Zehntbezirken sowie auf Gemeindegut oder auf der Allmend durch landlose Arme für einen halben Vierling Anbaufläche abgabefrei wurde (StAZH III AAb 1.16, Nr. 40). Das Mandat wurde jedoch nicht in Kraft gesetzt, sondern eine Kommission des RechenratsOrganisation: einberufen, welche die bisherigen Verhältnisse betreffend den Kartoffelzehnt sowie die allfälligen Einnahmeeinbussen bei Zehnterleichterungen anhand einer Umfrage ermitteln sollte. Im Bericht vom 29. April 1795 wurden die bisherigen obrigkeitlichen Bestimmungen betreffend den Kartoffelzehnt aufgeführt und Schätzungen über dessen Ertrag angestellt. Das Resultat des Berichts war, dass der Kartoffelzehnt wie bisher zum Grossen Zehnt gezählt werden solle und dass Zehntbefreiungen zu Einnahmeeinbussen führen würden (StAZH K II 75 a, Mappe 11). Daraufhin wurde am 12. Mai 1795 eine weitere Kommission des RechenratsOrganisation: eingesetzt, deren Auftrag es war zu untersuchen, wie der Kartoffelzehnt in Zukunft gehandhabt werden sollte (StAZH F I 41.5, S. 68-69). Am 29. Mai 1795 legte die Kommission dem ZürcherOrt: RatOrganisation: ein vom 18. Mai datiertes Gutachten vor. Darin wurde zunächst die positive Wirkung des Kartoffelanbaus auf die Nahrungsmittelversorgung, insbesondere in Zeiten der erschwerten Getreideeinfuhr, erwähnt. Da mit dem nicht in Kraft getretenen Mandat vom 16. Dezember 1794 auf der Landschaft grosse Hoffnungen bezüglich Erleichterung des Kartoffelzehnten geweckt worden seien, dessen Ertrag nicht hoch sei, weil Kartoffeln nur in Notzeiten angebaut würden und die Verwaltungskosten des Zehnteinzugs bei kleinen Mengen erheblich seien, würde dies gegen den Kartoffelzehnt sprechen. Allerdings befürchtete die Kommission, dass mit der Abschaffung des Kartoffelzehnten das gesamte Zehntsystem in Frage gestellt werden könnte. Aus diesem Grund empfahl die Kommission, den Kartoffelanbau grundsätzlich zehntpflichtig zu lassen. Jedoch musste bei Kartoffeln, die nicht auf den beiden Hauptzelgen angepflanzt würden, keine Zehntabgabe geleistet und bei Kartoffeln auf neu angepflanzten Matten lediglich das Heugeld als Zehntersatz bezahlt werden (StAZH F I 41.5, S. 78-79; StAZH K II 75 a, Mappe 11).

Die Vorschläge der Kommission des RechenratsOrganisation: wurden am 4. Juni 1795 vom RatOrganisation: bestätigt und das vorliegende Mandat gedruckt. Zudem wurden alle Amtleute aufgefordert, die Exemplare des nicht mehr gültigen Mandats vom 16. Dezember 1794 wieder an die RechenkanzleiOrganisation: zurückzusenden (StAZH B II 1048, S. 300-303; StAZH F I 41.5, S. 81).

Zum Kartoffelanbau in ZürichOrt: im 18. Jahrhundert vgl. HLS, Agrarrevolution; HLS, Kartoffel; Rásonyi 2000, S. 142-145; Peter 1996.

Editionstext


UnGnHUnsere Gnädigen Hohen Herrn Raͤth und BurgerOrganisation:
haben, nach unausgesetzt hegenden landesvaͤterlichen Gesinnungen und in gnaͤdiger Ruͤcksicht auf das Wohl
Ihrer G LGnädigen Lieben Landesangehoͤrigen, auch in Betrachtung, wie nothwendig die Vermehrung aller Unserm lieben Vaterland so noͤthigen
Nahrungsmittel uͤberhaupt, und besonders die Befoͤrderung und
Aufmunterung zur Pflanzung der so nuͤtzlichen Erdapfel seyen,
sich dahin zu erkennen geruhet, daß in Zukonft von jetzt an, in
dem ganzen hochobrigkeitlichen Zehendenbezirk es mit dem Erdapfel-
Zehenden folgende Bewandtniß haben solle:

An denjenigen Orten, wo das Zelgenrecht beobachtet wird,
solle von den Erdapflen, welche in die beyden Hauptzelgen, worauf Korn, Waitzen, Roggen oder Haber waͤchst, gepflanzt werden;
und hingegen an solchen Orten, wo Einschlaͤge und keine Zelgen
sind, solle von denjenigen Erdapflen, die in Einschlaͤge gepflanzt
werden, worinn, nach bisher geuͤbter Abwechslung, ebenfalls Korn,
Waitzen, Roggen oder Haber gebaut wird, ‒ der Zehenden weiter getreulich entrichtet, und die dießfaͤllige Schatzung mit und
unter dem großen Zehenden, also in Frucht, und zwar mit Ansetzung 1 Muͤtt KernensVolumenmass: 1 Mütt Dinkel fuͤr jede 20 Viertel ErdapfelVolumenmass: 20 Viertel Kartoffeln, vorgenommen werden.

Hingegen aber sollen alle und jede Erdapfel, so in Brachfeldern, Wiesen, Krautgaͤrten, Hanfpuͤnten, Ruͤtenen, neuen Aufbruͤchen, Weiden, Rebbergen und Gemeindguͤtern gepflanzt werden,
des Zehendens gaͤnzlich befreyt seyn; in der weitern Meynung
jedoch, daß da, wo der Brachzehenden bezogen wird, derselbe (die
Erdapfel ausgenommen) von allen andern in die Brach gepflanzten
Fruͤchten ferner wie bisdahin abgestattet, und daß ausserdem auch
von den Matten, die aufgebrochen, und mit Erdapflen bepflanzt
werden, ‒ gleichwohl der etwa darauf liegende Canon von Heugeld oder Zehendenersatz weiters ganz bezahlt werden solle.

Uebrigens stehen UnGnHUnsere Gnädigen Hohen Herren in gerechter Erwartung, daß
Ihre G LGnädigen Lieben Landesangehoͤrigen, mit dankerfuͤlltem Herzen, fuͤr
die ihnen durch gegenwaͤrtige Verordnung zuwachsende Beguͤnstigung, dem ganzen Innhalt derselben, nach Hochdero deutlicher
Willensmeynung, genaue und willige Folge leisten werden.
ActumSchriftwechsel Donstags den 4. Brachmonat 1795Originaldatierung: 4.6.1795.
CoramSchriftwechsel Raͤth und BuͤrgerOrganisation: .
Unterschreibers-CanzleyOrganisation: .
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