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SSRQ ZH NF I/1/3 118-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Erste Reihe: Stadt und Territorialstaat Zürich. Band 3: Stadt und Territorialstaat Zürich II (1460 bis Reformation), von Michael Schaffner

Zitation: SSRQ ZH NF I/1/3 118-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Mandat der Stadt Zürich betreffend Bilderverehrung und Abhaltung der Messe

1523 Oktober 1.

Nachdem Bürgermeister, Rat und der Grosse Rat der Stadt Zürich zum zweiten Mal alle Pfarrer, Seelsorger, Leutpriester, Prädikanten, Prälaten und sonstigen Gelehrten aus ihren Städten und Landschaften versammelt haben, um aus dem Wort Gottes die Wahrheit über die Bilder und die Messe zu erfahren, erlassen sie hiermit die folgenden Bestimmungen: Bis auf weiteren Beschluss dürfen weder geistliche noch weltliche Personen Bilder in die Kirchen bringen, daraus entfernen oder sie verändern. Wer selbst Bilder gestiftet hat, ist ermächtigt, diese wieder an sich zu nehmen, jedoch ohne dabei Anlass zum Aufruhr zu geben. Über aus gemeinem Kirchengut finanzierte Bilder haben die Kirchgenossen zu entscheiden. Bezüglich der Messe soll es bis auf weiteren Beschluss bleiben wie bisher, wobei niemand mutwillige Reden gegen andere Personen führen soll. Wer gegen die genannten Bestimmungen verstösst, wird bestraft. Alle Pfarrer haben unverzüglich das Evangelium zu verkünden, zu ihrer Belehrung wird in Bälde eine kurze Unterweisung im Druck erscheinen. Zudem sollen gelehrte Pfarrer auf die Landschaft entsandt werden, um das Gotteswort zu predigen, woran sie durch die dortigen Leutpriester nicht gehindert werden dürfen.

Das vorliegende Mandat wurde gemäss Heinrich BullingerPerson: unmittelbar nach Ende der Zweiten ZürcherOrt: Disputation verabschiedet (Bullinger, Reformationsgeschichte, Bd. 1, S. 135). Mit der Bilderfrage und der Abhaltung der Messe thematisiert es die beiden wichtigsten Streitpunkte der Disputation.

Zu ersten ikonoklastischen Handlungen in ZürcherOrt: Kirchen war es im September 1523 gekommen, ausgelöst durch Predigten von Leo JudPerson: , dem Leutpriester von St. PeterOrt: . Der RatOrganisation: setzte darauf eine Kommission zur Behandlung der Bilderfrage ein (StAZH B VI 249, fol. 64v). Deren Beratungen führten schliesslich zur Zweiten ZürcherOrt: Disputation.

Mit dem vorliegenden Mandat setzte der RatOrganisation: die eigenmächtige Zerstörung von Bildern unter Strafe. Gleichzeitig griff er mit der Erlaubnis zur Entfernung von Kirchenzierden durch die Stifter in einem zentralen Punkt in das Eigenrecht der Kirche ein. Laut BullingerPerson: machten im Anschluss zahlreiche Stifter von diesem Recht Gebrauch, weitere Belege für diese Aussage fehlen jedoch (Bullinger, Reformationsgeschichte, Bd. 1, S. 175). In den folgenden Monaten wurde das vorliegende Mandat wiederholt in Erinnerung gerufen und dessen Strafandrohung bekräftigt (StAZH A 42.2.4, Nr. 20; Edition: Zürcher Kirchenordnungen, Bd. 1, Nr. 12). Der Hintergrund dafür war die Besorgnis des RatsOrganisation: über mögliche soziale Unruhen im Gefolge eines unkontrollierten Bildersturms sowie der Umstand, dass die Meinung der Bevölkerung diesbezüglich gespalten war. Dennoch führten Bewohner der Landschaft zum Jahreswechsel in WeiningenOrt: und StammheimOrt: sowie an Pfingsten 1524 in ZollikonOrt: ikonoklastische Handlungen durch. Im Mandat vom 15. Juni 1524 ordnete der RatOrganisation: schliesslich die Entfernung der Bilder aus den Kirchen an (SSRQ ZH NF I/1/3 120-1).

Bezüglich der Frage der Abhaltung der Messe reflektiert das vorliegende Mandat das Ergebnis der Disputation, insofern der RatOrganisation: vorerst eine Entscheidung aufschob. Der reformierte Gottesdienst wurde schliesslich 1525 mit der ersten gedruckten Kirchen- und Liturgieordnung der Stadt ZürichOrt: definitiv eingeführt (Digitalisat: ZBZ II DD 271).

Zum vorliegenden Mandat sowie zu Vorgeschichte und Verlauf des ZürcherOrt: Bildersturms vgl. Jezler 2018; Jezler 2000; Jezler 1990, S. 148-151; Jezler et al. 1984; zur Zweiten ZürcherOrt: Disputation vgl. Gäbler 2004, S. 72-76.

Editionstext

a–
Ein mandat der meß und goͤtzen
halb in den kilchen ußgangen
Hinzufügung oberhalb der Zeile mit anderer Tinte
–a
Alß dann unser gnaͤdig herren, burgermeister, raͧt und
der groß raͧt, so man nempt die tzwei hundert der stat
ZuͤrichOrt:
Organisation:
, verschinen jarß allein umb gottes lob und eer,
och der cristgloͧbigen seelen heilß willen, von wegen
ettlicher unverstendigerKorrektur am linken Rand, ersetzt: irselb deß goͤttlichen worttes ein beruͤffung aller
iren pfarrern, seelsorgern, luͤtpriestern und predicanten
gehept und jetz nechst verrückter tagen, nieman
zuͦ nachteil oder schmach, abermal die ob angezoͤgten
pfarrer, seelsorger, luͤtpriester, predicanten und
ander c ire prelaten und sust hochHinzufügung oberhalb der Zeiled gelert luͤt uß allen
iren stetten und lantschafften zuͦ sammen beruͤfft
und daselbß von wegen beder articklen der bilder
und meß halb, die goͤttlich warheit uß dem
heitern wort gottes gsuͦcht und erfunden.
Darumb,
so ist jetzmal der genanten unser herren verbot,
will und meinung, daß weder geistlich noch weltlich
der bilder halb fuͤrhin, biß uff wytern bescheid, der
in kurtzem (ob got wil) uß dem wort gottes geben
wirt, nieman uß noch in die kilchen enicherley
bild trage oder verwandle, eß habe dann einer
eigne bild in die kilchen geordnet, die mag er wyderumb
zuͦ sinen handen nemmen, doch dero gstalt, daß hieruß
dhein unrat ufferstande.
Ob oͧch ettwaß bilder uß
gmeinner kilchgnossen oder der kilchen guͦt gemacht
werent, sol oͧch nieman an gmeiner kilchgnossen
wissen und willen in mittler zyt verendren.

Der messen halb sol eß biß uff wytern bescheid und
bald komende erluͤtrung wie bißhar belyben und
sol nieman den andern mit enicherley muͦttwilligen,
reitzigen worten meinen oder anzuͤhen.
Und [S. 2]Seitenumbruch
welcher sich daruͤber mit worten oder wercken ungepuͤrlich und ungehorsam hielte, den wurden unser
herren großlich und nach gstalt der sach straffen.

Und damit nieman alß ungelerte oder onwissent verergert werd, ist unser herren wil und meinung,
daß alle ire pfarrer und predicanten on wytern verzug anfahind daß heilig ewangelium clarlich
und truͤwlich nach dem geist gottes predigent und
verkuͤndent.
Und damit soͤllichß dester warlicher
beschehe, habent sy ettlich ire truͤw und wol gelert
maͤnner verordnet, von derKorrektur oberhalb der Zeile, ersetzt: ettlichere unberichten
wegen ein kurtze inleitung ze stellen, damit die
unwissenden zuͦ underwysen, wie sy doch die leer
gottes ze hand nemen und die selbigen iren underthanen fuͤrhalten soͤllen. Und wirt soͤlliche gschrifft
in kurtzem durch und mit dem truck ußgan, dero
sich ein jeder halten sol, dann die nit uß mentschen
vernunfft, sonder uß dem vorbild und worten
gottes (die nieman verfuͤren moͤgen) gezogen
werden.1

f Damit oͧch nieman (wie leider bißhar von ettlichen
beschehen ist) sich ußschloͧffen oder entschuldigen koͤnne,
werdent die genanten unser herren ettlich gelert
priester, daß gotzwort in ir lantschafft allenthalb
zuͦ verkuͤnden, uß schicken. Darumb wo die in die
pfarren dero gstalt kommen, soͤllent die luͤtpriester
daselbs und sustHinzufügung oberhalb der Zeileg menglich inen soͤllichß zuͦ verkuͤnden
stat geben und sy dheins wegß verhindern. [S. 3]Seitenumbruch
Und h–umb daßKorrektur oberhalb der Zeile, ersetzt: damit–h der allmechtig gott menglichem sin goͤttlich
gnad und daß liecht der warheit in disern und allen unß
anliggenden sachen nach sinem lob undKorrektur überschrieben, ersetzt: si unser j seelen
heil unßHinzufügung am linken Rand mit Einfügungszeichenk zuͦ senden und uff thuͦn woͤlle etcAbkürzung, soͤllent alle pfarrer
in allen predigen l daß volck mit hoͤchstem flyß ermanen,
m–daß syKorrektur oberhalb der Zeile, ersetzt: soͤllichs–m mit ernst n
p–gott anruͤffent und bitten, darmit soͤllichß q durch
sin r eingebornen sun, Jesum CristumPerson: , nach sinem
willen unßHinzufügung oberhalb der Zeile mit Einfügungszeichens verlyhen werd.
Hinzufügung unterhalb der Zeile mit anderer Tinte
–p
[S. 4]Seitenumbruch
[Vermerk auf der Rückseite von Hand des 18. Jh.:]
Mandat der mäß und bilderen halben.

Anmerkungen

  1. Hinzufügung oberhalb der Zeile mit anderer Tinte.
  2. Korrektur am linken Rand, ersetzt: irsel.
  3. Streichung: pre.
  4. Hinzufügung oberhalb der Zeile.
  5. Korrektur oberhalb der Zeile, ersetzt: ettlicher.
  6. Streichung: Und.
  7. Hinzufügung oberhalb der Zeile.
  8. Korrektur oberhalb der Zeile, ersetzt: damit.
  9. Korrektur überschrieben, ersetzt: s.
  10. Streichung: aller.
  11. Hinzufügung am linken Rand mit Einfügungszeichen.
  12. Streichung: z.
  13. Korrektur oberhalb der Zeile, ersetzt: soͤllichs.
  14. Streichung: unß durch sin eingebornen sun Jesum CristumPerson: barmhertzenclich zuͦ allen zyten o nach
    sinem willen zuͦ verlychen, anzeruffen und zebitten.
  15. Hinzufügung unterhalb der Zeile mit anderer Tinte.
  16. Streichung: unß.
  17. Streichung: eign.
  18. Hinzufügung oberhalb der Zeile mit Einfügungszeichen.
  1. Das von Huldrych ZwingliPerson: verfasste Werk erschien am 17. November 1523 im Druck (Zwingli, Werke, Bd. 2, S. 626-663; Digitalisat: ZBZ 5.161,5).