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SSRQ ZH NF I/1/3 129-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Erste Reihe: Stadt und Territorialstaat Zürich. Band 3: Stadt und Territorialstaat Zürich II (1460 bis Reformation), von Michael Schaffner

Zitation: SSRQ ZH NF I/1/3 129-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Todesurteil des Blutgerichts der Stadt Zürich gegen Verena Diener von Pfäffikon wegen Hexerei

1525 Oktober 19.

Verena Diener von Pfäffikon hat gestanden, dass sie von einer unterdessen gestorbenen Frau in Pfäffikon zwei Umschläge mit Pulver entgegengenommen habe, von denen das erste einen Liebeszauber bewirken konnte, das zweite jedoch giftig gewesen sei. Das erste Pulver habe sie ihrem jetzigen Ehemann verabreicht, während sie das zweite mehrfach gegen ihre Stieftochter sowie verschiedene Tiere eingesetzt habe. Durch versehentliche Verabreichung des giftigen Pulvers habe zudem Magdalena Tobler, ihre Nichte, ein totes Kind geboren. Weiter hat sie gestanden, dass ihr nachts in einem Haus in Pfäffikon der Teufel erschienen sei, sie ihm die Treue geschworen und Gott, Maria und die Heiligen verleugnet habe, worauf er ihr ein Kraut gezeigt habe, welches den Menschen den Verstand raube. Dieses habe sie ihrem jetzigen Mann, seiner damaligen Ehefrau und deren Bediensteten verabreicht. Verena Diener habe dem Teufel die Gefolgschaft unterdessen aufgekündigt, von ihm gebrachte giftige Salben weggeworfen und keine Diebstähle begangen. Für ihre Taten wird Verena Diener zum Tod durch Verbrennen verurteilt. Das Vermögen der Verurteilten wird konfisziert.

Das vorliegende Urteil gegen die der Hexerei bezichtigte Verena DienerPerson: basiert auf einem Geständnis der Angeklagten, das in den Gerichtsakten überliefert ist (SSRQ ZH NF I/1/3 123-1). Der Vergleich beider Dokumente erlaubt einen Einblick in den Ablauf des Blutgerichtsverfahrens und seine Schriftlichkeit. In vielen Fällen geben die Gerichtsakten auch die Aussagen der befragten Zeugen wieder (vgl. StAZH A 27.159 - A 27.164). Sie enthalten zudem zahlreiche Hinweise auf das Zustandekommen der Geständnisse unter Einfluss der Folter, die im Blutgerichtsverfahren seit dem späten 14. Jahrhundert eingesetzt wurde (Wettstein 1958, S. 113). Daneben sind dort aber auch Fälle dokumentiert, die mit einer Freilassung der der Hexerei beschuldigten Personen endeten (vgl. dafür exemplarisch den Prozess gegen Anna MeisterPerson: und ihre Schwester, SSRQ ZH NF I/1/3 112-1).

Für das damalige Herrschaftsgebiet ZürichsOrt: sind aus der Zeit zwischen den Jahren 1487 und 1701 insgesamt 79 Todesurteile überliefert, die aufgrund des Vorwurfs der Hexerei und damit verbundener Verleugnung Gottes und Eingehung eines Teufelspakts gefällt wurden. 74 verurteilten Frauen stehen fünf Männer gegenüber. Bezüglich der Herkunft der Hingerichteten ist festzuhalten, dass sich keine Stadtbürger darunter befanden, stets handelte es sich entweder um Bewohner der Landschaft oder um Auswärtige. Auch bei der chronologischen Verteilung lassen sich klare Tendenzen feststellen: Während in das ganze 15. Jahrhundert lediglich zwei Verurteilungen fallen, sind es in den zehn Jahren zwischen 1518 und 1528 bereits doppelt so viele. Anteilsmässig am meisten Hinrichtungen angeblicher Hexen entfallen jedoch auf die 50 Jahre zwischen 1580 und 1630 (48 Fälle).

Zu den ZürcherOrt: Hexenprozessen vgl. Sigg 2018; Sigg, Hexenprozesse; zu den Hexenverfolgungen in verschiedenen Städten der EidgenossenschaftOrt: und des OberrheinsOrt: vgl. Blauert 2004; Modestin/Utz Tremp et al. 2002.

Editionstext

Verena DienerinPerson: von PfeffickennOrt: , die da gegenwu̍rtig statt, hatt veriaͤchenn, das ein frow zuͦ PfeffickennOrt: , so vor etwas jaren mit tod abgangenn, iro zweyMenge: 2 brieffli mit pulver gebenn unnd hab sy a gelert und iro geseit, das das ein bulfer die krafft in im hab, wellichem man sy es zuͦ essenn gebe, so muͤsse der selb sy uss liebi alweg han unnd allein an iro hangenn. Das ander pulfer habe aber die krafft, wellichem mentschenn es werd zuͦ essen gebenn, so werde er zestund kranck, kotze unnd gange von im allerlei wuͦsts, b kotz unnd c unsu̍berkeit. Unnd hab solliche pulfer gebrucht, namlich, das ein d Clausenn ToblerPerson: , irem ewirt, zuͦessen geben, damit er sy muͤßte lieb han. Das ander pulfer hab sy bewert unnd probieret e vor einem jarZeitspanne: 1 Jahr ungefarlich an irer stieffdochter MagdalenaPerson: kuͦ, f welliche kuͦ von stundan der milch beroubet unnd vast kranck wurde.

Item sy hab ouch Stoffel SchellenbergsPerson: hunden, der sy allweg gehasset und angebullen hett, das beruͤrt bulfer, als sy junge gebracht, in einem gemuͤs zuͦessenn gegebenn. Nit wu̍sse sy, oder solliche hundtin mit g iren jungen gestorben syent oder nit.

So hab sy das obgemelt bulfer an irs bruͦders suns hochzit gebrucht unnd gedachter ir stiefftochter Magdalenen ToblerinPerson: an ein h bruͤygi gesaͤygt unnd iro lassenn fu̍rtragenn, damit sy kranck wurde. Unnd hab von sollicher pruͤyge mit [fol. 18v]Seitenumbruch der MagdalenenPerson: geessenn irs bruͦders tochter, die dann schwanger were unnd glich am sambstagZeitspanne: Samstag darnach ein todts kindli gebracht. Aber wie sy i, die VerenaPerson: , des gwar wurde, were sy u̍ber die bemelt irs bruͦders tochter hoͤn gesin unnd hett sy gestoͤubt, das sy nit mer essen soͤlte.

Mer hab sy das genant pulfer uff ein zit irer stiefftochter MagdalenenPerson: an ein milch gethan unnd iro das gepracht zuͦessenn.

Aber hatt sy verjaͤchenn, als sy vor vier jarennZeitspanne: 4 Jahre in grosser widerwertigkeit gewesenn, were der tu̍ffel j, so sich nampte KempfferPerson: , nachtsZeitspanne: nachts zuͦ PfeffickennOrt: in Baschian LynsisPerson: huss zuͦ iro in die kamer kommen unnd zuͦ iro gesprochenn, warumb sy so widrießig were, unnd sy soͤlte sich zuͦ im verpflichtenn, im volgen, ouch gottes, der junckfrowen MariePerson: und der lieben heilligen verlougnen, so welte er sy mengerlei ku̍nstenn von kru̍teren leren, iro helffen und gnuͦg geben. Also hab sy dem tu̍ffel gewilfaret, hab daruff gottes unnd der heiligen verlougnet. Demnach hab er iro zuͦgemuͦttet, das sy sinen [fol. 19r]Seitenumbruch willen thaͤte. Das hab sy gethan unnd der tu̍ffel mit iro zuͦschaffen gehept. Unnd wie k–der tu̍fellKorrektur am linken Rand, ersetzt: er–k von iro schiede, hett er iro verheissen ein guldinWährung: 1 Gulden an ein ort zeleggenn, da sy inn wurde findenn. Deßglich soͤlt sy fu̍r PfeffickenOrt: ußhin gegen dem Stagel Hu̍ßliOrt: gan unnd umb die zu̍n ein gelwe bluͦmen unnd suntst ein krutt, l1 suͤchen unnd abgewinnenn. Unnd so sy es einem zuͦ essen gëbe, so wurde er glich toub und unsynnig.
Aber wie sy morndes den guldinnWährung: 1 Gulden an obgemeltem ort m gesuͤcht, hett sy den nit gefunndenn unnd syge demnach hinuss zum Stagell Hu̍ßliOrt: gangenn, die kru̍ter zuͦsuͦchen. Daselbs keme der tu̍ffel abermaln zuͦ iro, zoigte iro die kru̍ter unnd begerte abermaln an sy, das sy sinen willen thaͤte, wellichs sy im verseit unnd abgeschlagenn. Aber die kru̍tter hett sy abgewu̍nnen unnd uff ein zit Clausenn ToblerPerson: , jetzigem irem eman, n ouch siner vorigenn hußfrowenn und anderm sinem hussvolck in einem haffenn zuͦ essenn gebenn. Unnd wie sy es geessen, wurdint sy von stundan taub und wuͤtent, luffint nackechtig hin und her wie die unsynnigenn lutt.

[fol. 19v]Seitenumbruch

o Unnd nach achttagennZeitspanne: 8 Tage, als sy die kru̍ter gewunnen, syge der tu̍fel abermaln zuͦ iro kommen in das obgenant huss, hab sy angefochten unnd mit iro gehandlet unnd sy sins willens gepflaͤgenn, wievor. p Do habe sy gedacht, das sollichs ein q betrug unnd faltsch were, hab also ein ru̍wen gehept, got an underlas angeruͤfft unnd etwa zuͦ zitenn messen zelesenn gebenn, damit sy von des tu̍ffels gwalt und von sollichenn anfechtungen gelediget wurd. Wellichs were beschechen unnd hett siderhar nu̍dt mer mit im zuͦ schaffenn gehept.

Am letstenn habe iro der boͤs geist salben in einem bu̍chßli gebracht, damit sy die lu̍tt lemmen soͤlte. Aber sy habe die selbigenn salbenn hinweg geworffenn unnd nu̍ts darmit gehandlet.

Umb2 sollich hexeri, boͤßen, schantlichenn gloubenn, gros u̍bell unnd mißthuͦn, ist von der genanten Verena DienerinPerson: also gericht, das si dem nachrichter befolchenn werdenn, der iro die hend binden unnd sy hinuss an die SylOrt: uff das GrienOrt: fuͤren [fol. 20r]Seitenumbruch unnd si daselbs uff ein hurd setzenn unnd an ein stud bindenn unnd si uff der hurd unnd an der stud brennenn, das ir fleisch unnd gebein zuͦ ëschen werde unnd das si damit dem gericht unnd r rechten gebuͤst habenn soͤlle.

Unnd ob jemas, wer der were, der solllichen iren tod aͤfferti oder andoti, mit worten ald werchen, heimlich oder offenlich, als schuͤffe das gethan werden, das der unnd die selben in denen schulden unnd banden sin soͤllint, darinn die bemelt Verena DienerinPerson: jetz gegenwu̍rtig statt.

Was guͦts sy hatt, ist gemeiner statt uff ir gnad, ouch brieff unnd sigell, erkent.
Uff erfordern her burgermeisterIn der Vorlage: burg WaldersPerson: , vor her Matthis WißennPerson: , des richsOrganisation: vogt, donstags nach GalliPerson: anno etcAbkürzung xxKorrigiert aus: xxvsOriginaldatierung: 19.10.1525.3

Anmerkungen

  1. Streichung: iro.
  2. Streichung: unnd.
  3. Streichung: vil.
  4. Streichung: gebenn.
  5. Streichung: an.
  6. Streichung: die.
  7. Streichung: den.
  8. Streichung: hochzit.
  9. Streichung: es.
  10. Streichung: gen.
  11. Korrektur am linken Rand, ersetzt: er.
  12. Streichung: das mit breiten bletteren uff dem herd wuͤchse.
  13. Streichung: gesetzt.
  14. Streichung: Clasin.
  15. Streichung: So hab sy dhein.
  16. Streichung: D.
  17. Streichung: betrug.
  18. Streichung: gen.
  19. Korrigiert aus: xxv.
  1. Zur gestrichenen Passage notierte der Schreiber am linken Rand den Vermerk: «Sol nit gelesen werdenn.» Dies bezieht sich auf die öffentliche Verlesung des Urteils auf dem FischmarktOrt: vor dem RathausOrt: . Vgl. dazu die Blutgerichtsordnung der Stadt ZürichOrt: (SSRQ ZH NF I/1/3 99-1).
  2. Von hier an wird das Urteilsformular für die Hinrichtung durch Verbrennen wiedergegeben, wie es im zweiten Teil der Blutgerichtsordnung vorgegeben ist (SSRQ ZH NF I/1/3 100-1).
  3. Die korrekte Datierung des Urteils auf das Jahr 1525 geht aus dem überlieferten ausführlichen Geständnis Verena DienersPerson: (SSRQ ZH NF I/1/3 123-1) sowie der Amtszeit Bürgermeister WaldersPerson: (1524-1541) hervor. Zur Datierung vgl. auch Sigg, Hexenprozesse, S. 23.