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SSRQ ZH NF I/1/3 18-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Erste Reihe: Stadt und Territorialstaat Zürich. Band 3: Stadt und Territorialstaat Zürich II (1460 bis Reformation), von Michael Schaffner

Zitation: SSRQ ZH NF I/1/3 18-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Begründung der Bruderschaft der Gesellen, Knechte und Lehrknaben des Zürcher Schuhmacherhandwerks

1484 August 14.

Die Gesellen, Knechte und Lehrknaben des Schuhmacherhandwerks haben mit Erlaubnis von Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich eine Bruderschaft zu Ehren der Jungfrau Maria begründet. Mit Guardian und Konvent des Klosters der Barfüsser (Franziskaner) haben sie sich, unter Mithilfe ihres Zunftmeisters Johannes Nordikon, auf folgende Artikel verständigt: Die Barfüsser feiern jeweils zu den vier Temperfasten (Fronfasten), an Allerseelen und an den vier Marienfesten eine gesungene Seelenmesse zugunsten der Mitglieder der Bruderschaft und aller ihrer Nachkommen (1). Der Bruderschaft wird ein Begräbnisplatz auf dem Friedhof der Barfüsser zugewiesen (2). Wenn ein Mitglied der Bruderschaft stirbt, halten ihm die Barfüsser die Totenwache, geleiten seinen Leichnam zum Friedhof und halten sein Begräbnis. Am nächsten darauffolgenden Feiertag halten sie dem Verstorbenen eine Seelenmesse und besuchen den Begräbnisplatz der Bruderschaft (3). Für jede gesungene Seelenmesse schuldet die Bruderschaft dem Priester, der die Messe hält, zwei Schilling, den beiden Lektoren je einen Schilling (4). Die Seelenmessen zugunsten der Bruderschaft werden an dem dafür bestimmten Altar rechts der Eingangstüre der Barfüsserkirche gehalten (5). Jeweils am Vorabend hat sich der Büchsenmeister der Bruderschaft beim Guardian oder seinem Stellvertreter nach dem Zeitpunkt der Messe zu erkundigen und diesen seinen Mitbrüdern anzuzeigen, die das Opfer von je einem Angster zu entrichten haben (6). Anlässlich aller zugunsten der Bruderschaft begangenen Messen und Begräbnisse sollen deren Kerzen angezündet werden (7). – Meister Johannes Nordikon siegelt im Namen der Bruderschaft.

Bei der vorliegenden Aufzeichnung handelt es sich um die spätere Abschrift einer nicht erhaltenen Urkunde im Urbar des BarfüsserklostersOrganisation: . Der Schreiber setzt Striche über dem Buchstaben «u», bei denen keine Unterscheidung zwischen Distinktionszeichen und diakritischem Zeichen ersichtlich ist. Zur besseren Lesbarkeit des Textes wurden bei der Transkription die Laute «u» und «u̍» gemäss Standarddeutsch normalisiert. Zur Datierung der Abschrift vgl. IWQZH, Nr. 220.

In ZürichOrt: existierten in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts dreizehn Laienbruderschaften, von denen alle bis auf zwei ihren Sitz bei einem der drei Bettelordensklöster der Stadt hatten. Die Bruderschaften stellten für ihre Mitglieder das Totengedenken sicher, namentlich durch die Bereitstellung finanzieller Mittel für die Durchführung von Begräbnissen und regelmässigen Seelenmessen. Auch die ZünfteOrganisation: verfügten zu diesem Zweck über bruderschaftliche Einrichtungen: So sah schon der Zunftbrief der SchuhmacherzunftOrganisation: im Jahr 1336 vor, dass beim Tod eines bedürftigen Meisters seine Zunftbrüder je einen Pfennig für sein Begräbnis zu spenden hatten (StAZH A 73.2; Edition: QZZG, Bd. 1, Nr. 6).

Im 15. Jahrhundert organisierten sich jedoch zunehmend auch Knechte und Gesellen in eigenen Bruderschaften. So begründeten in ZürichOrt: neben den SchuhmachernOrganisation: auch die Gesellen der BäckerOrganisation: , MüllerOrganisation: und KürschnerOrganisation: eigene Bruderschaften. Auch Angehörige nichtzünftiger Gruppen suchten auf diese Weise bereits zu Lebzeiten Vorsorge für das eigene Seelenheil zu treffen. So war die grösstenteils bedürftige Bewohnerschaft des KratzOrt: ebenso in einer Bruderschaft organisiert wie die Spielleute (StAZH A 43.1.4, Nr. 3).

Der von den Schuhmachergesellen mit der Durchführung des Totengedenkens beauftragte Orden der FranziskanerOrganisation: befand sich seit seiner Ankunft in ZürichOrt: Mitte des 13. Jahrhunderts mit dem GrossmünsterstiftOrt: in einem Kompetenzkonflikt wegen Seelsorge und Begräbnis. Dieser konnte erst 1510 mit einem Vergleich geschlichtet werden, wonach die FranziskanerOrganisation: den jeweiligen Leutpriester bei jeder klösterlichen Totenfeier mit einem Viertel der entrichteten Spenden an den Erträgen zu beteiligen hatten.

Im Zuge der Reformation wurden sämtliche Bruderschaften aufgelöst. Bei der Aufstellung der Vermögenswerte wurden für die Bruderschaft der SchuhmachergesellenOrganisation: Einkünfte von 3 Gulden verzeichnet (Egli, Actensammlung, Nr. 620).

Zu den ZürcherOrt: Bruderschaften vgl. Amacher 2002; Illi 1992, S. 104-107; zum Friedhof der BarfüsserkircheOrt: vgl. Illi 1992, S. 51-52.

Editionstext


Diser brief sait von der schuͦknechtOrganisation: jartzit

Wir, die gemeinen gesellenn, knecht und knaben schumacher hantwercksOrganisation: , so der zit in der stat Zu̍richOrt: dienend und wonhafftig sind,
thuͦn kund allermengklichem und bekennend offennlich mit dem
brieff:
Alls wir die strengen, vestenn, fromen, fuͤrsichtigen, wisenn
burgermeister und ratt der stat Zu̍richOrt: Organisation: , unser gnaͤdig herrenn,
ernstlich und mit hohem flis angeruft unnd gebetten hand, zu
gefallen der allersaͤligsten junckfrouwen MariaPerson: , der mutter aller gnaden und barmhertzigkeit, in der ere aller gloubigen selen
und zu lieb unsern vordern und nachkomen, uns und allen unsern nachkomen, gesellen, knechten und knaben schumacher
hantwercks
Organisation:
, in ir obgenanten stat je zu zitten dienende unnd
wonhaft, einer bruderschaftOrganisation: in ir gemelten stat zu habennde,
zeverwilligenn und zevergu̍nsten und sy uns alls dero verwilligt und verfolgt, iren gunst und verhengknuß darzu geben
handt, nach lut und sag eins brieffs, den wir, mit ir stat secret insigell besigelt, inn habent, das wir darnebent sollichem
mit gemeinem, einhelligem rat und wolbedachtenklich durch
hilff und zuͦthun deß fromen und wisen meister Johansen NordikonPerson: , burgere und deß rats und der zit unsern meistern deß
schumacher handtwercks ZuͤrichOrt: Organisation: zunftmeister, mit den wuͤdigen unnd geistlichen bru̍dern, dem gardien und gmeinem
convent deß barfu̍sser klosters ZuͤrichOrt:
Organisation:
, sant FranciscenPerson: ordenOrganisation: ,
CostentzerOrt: bistumbsOrganisation: , unsern lieben herren, gu̍tlich und fru̍ntlich uberkomen sindt und sy mit uns diser nachfolgenden stu̍cken
und artickeln:
Also das sie und all ir nachkomen conventbru̍der
deß obgenanten closters nun hinenfu̍r und jemer ewenklich
der wirdigen mutter und magt MariaPerson: zu lob, ouch unser, aller
unser vordern und nachkomen diser bruderschaftOrganisation: selen zuͦ trost [fol. 62v]Seitenumbruch
unnd hilff ze den vier temperfastenWiederholte Zeitspanne: 3 Monate, die man nempt fronfasten,1 im
jar zu jegklicher fronfastenWiederholte Zeitspanne: 3 Monate insunder ein gesungen selmeß in
irem obgenanten closter haben und begon soͤllenndt, deß glich
alle jar jaͤrlichWiederholte Zeitspanne: 1 Jahr an aller selen tagDatum: 2. November (Kirchenfest) und uff die vierMenge: 4 unser frow
tag2 im jarWiederholte Zeitspanne: 1 Jahr und uff jeden insunders ein gesungen meß.
Die vorgenanten gardien und der conventOrganisation: habent uns ouch ein
statt uff irem kilchoff zuͦ aller nechst by dem thor, so nebenndt
dem beinhus ist, zwischen demselben und dem obren thor ann
der mur ingeben, das wir unser begrept da machen soͤllenn
lassenn.
Wenn sich ouch fu̍gte, das einer in der vorgenanten
unser bruderschafftOrganisation: hie in der stat ZuͤrichOrt: mit tod abgangen
und von diser zit gescheiden ist und das den genanten herrenn
zuͦ wissenn gethan wu̍rt, dann so sollent dieselbenn herren
oder ir nachkomen deß genanten klosters zu dem huse, darinne
der abgangen lit, gon und da dannnen nit komen, bis wir denselbenn zuͦ kilchen tragen lassennt. Und so wir den also dartzu
lassenn tragen, sy ouch mit der lich gon und dem selben abgangnenn ein gesungen seel ampt habenn und sin begreptnuß
begonn, uff den negstenn firtag darnach, nach ordnung der
heiligenn kristenlichen kilchenn. Und so dick sy also in unser
bruderschafftOrganisation: ein seel ampt singent, wenn das ist, so soll derselb briester, der das ampt vollbracht hat, der evangelier und
epistler mit ime uber unser begreptnuß und das grab, darinn
der totten lichnam ruwenndt ist, gon.
Wir unnd unser nachkomenn diser bruderschafftOrganisation: soͤllenn inen ouch von jeder gesungen
meß, so dick und mengmal sy unns die hand geben, einem
briester, der die meß hat, zwen schillingWährung: 2 Schillinge , dem evangelier,
der das evangelienn singt, ein schillingWährung: 1 Schilling , dem epistler, der das
epistel singt, ein schillingWährung: 1 Schilling .
Die vorgenanten herrenn und alle
ir nachkomen deß genanten klosters soͤllennt ouch solch messen
alle haben in irem kloster uff dem altar, zu negst by der mur,
alls man in das thor gatt, by der rechten handt, den sy also
unser bruderschaftOrganisation: ingeben hand.
Und uff welchen tag sy unns
oder unser nachkomen diser bruderschaftOrganisation: ein ampt habenn [fol. 63r]Seitenumbruch
soͤllenn, so soll unser, der schuchknechten und knaben, buchssennmeister am abendtZeitspanne: abends davor zu einem gardien deß genanten
klosters, und ob der nit da were, zu einem stathalter, gon und den
fragenn, umb welche zit morndes inen das ampt zuhaben fu̍glich
sin wolle, und soll ouch ein gardien oder stathaltter das sagen, und
so dem bu̍chssenmeister, also die zit gestimpt wirt, sol der demnach von einem zuͦ dem andern irer bruͦderschafftOrganisation: gan und inen
zuͦ dem ampt zuͦkomende gebietten uff die stund, so im bestimpt
ist und ouch unser igklicher under den schuchknechten und knabenn einen angsterWährung: 1 Angster mit ime bringen zu opffer. Und welcher
nit selbs komen kan, der soll den angsterWährung: 1 Angster by einem andern dar
schicken. Ob aber dero deweders beschehe, so soll er doch desselbenn
tags den angsterWährung: 1 Angster den bu̍chssenmeistern uff die stuben bringen,
by der bus, wie das unser bruderschaftOrganisation: inn hallt.
Wir und unsere
nachkomen soͤllenn ouch zuͦ allenn emptern und begreptnussen,
so sy unns begond, unser kertzenn lassen anzu̍nden und die nit
abloͤschen, bis das ampt uß ist.
Und dem allem, so diser brieff wiset, lut und seit, soͤllenn wir nach unser nachkomen niemer
nichtz fuͤrziehenn noch zuͦ wort habenn, in kein wis noch weg,
sunder das also haltenn und volfuͤrenn by guͦtten truͤwen, on alle
widerred, getru̍lich und ungevarlich.
Und deß alles zuͦ warem,
vestem und guͦtem urkund, so haben wir, obgenanten gesellen,
knecht und knaben schuchmacher hantwercksOrganisation: , mit ernst gebetten
und erpetten den vorgemelten meister Johansen NordikonPerson: , unsern
lieben herren und meister, das er sin insigel an disen brieff gehengkt hatt, uns und unser nachkomen aller obgenanter ding
zebesagende und ouch im und sinen erben in allweg on schaden,
das geschehen ist an unser lieben frowenn abenndt im ougsten,
alls man zalt von der gepurt Christi, unsers lieben herrenn,
tusent vierhundert achtzig unnd vier jare
Originaldatierung: 14.8.1484
.

Anmerkungen

    1. Die Fronfasten waren verbreitete Termine für Seelenmessen, vgl. Illi 1992, S. 107 sowie exemplarisch Hugener 2014, S. 105.
    2. Es handelt sich um die vier Marienfeste der Reinigung oder Lichtmess (2. Februar), Verkündigung (25. März), Himmelfahrt (15. August) und Empfängnis (8. Dezember), vgl. Illi 1992, S. 107.