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SSRQ ZH NF I/1/3 74-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Erste Reihe: Stadt und Territorialstaat Zürich. Band 3: Stadt und Territorialstaat Zürich II (1460 bis Reformation), von Michael Schaffner

Zitation: SSRQ ZH NF I/1/3 74-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Übereinkunft der Stadt Zürich mit dem Bischof von Konstanz über die Behandlung von Streitfällen zwischen Laien und Geistlichen auf der Zürcher Landschaft

1506 Januar 27 – 1523 Februar 14.

Betreffend die Gerichtsbarkeit über Streitfälle, die sich ausserhalb der Stadt, jedoch innerhalb des Zürcher Herrschaftsgebiets zwischen Geistlichen und Laien ereignen, sind zwischen dem Bischof von Konstanz und der Stadt Zürich folgende Artikel vereinbart worden: Die Geistlichen unterliegen ebenso wie die Laien der Pflicht, Frieden zu bieten (Stallungspflicht), bei Nichtbeachtung gilt die im Richtebrief festgelegte Busse (1). Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich richten sowohl bei Frevel oder Unfug eines Laien gegenüber einem Geistlichen als auch bei Frevel oder Unfug eines Geistlichen gegenüber einem Laien (2). Der Rat der Stadt Zürich kann gerichtliche Untersuchungen auch ohne Klagen einleiten (3). Werden Geistliche gebüsst, geht die Busse an den Bischof von Konstanz (4). Werden Laien gebüsst, geht die Busse an die Stadt Zürich (5). In Fällen der Malefiz- und Hochgerichtsbarkeit richtet der Bischof von Konstanz über Geistliche, die Stadt Zürich über Laien (6). Die Rechtsprechung in Fragen des Kirchenbanns bleibt dem Bischof von Konstanz vorbehalten (7). Diese Vereinbarung bleibt bis zur Kündigung durch eine der beiden Parteien bestehen. Es besteht eine Kündigungsfrist von sechs Monaten.

Gemäss dem sogenannten «privilegium fori» durften Geistliche ausschliesslich durch geistliche Gerichte belangt werden. Dieser Grundsatz galt auch im vorreformatorischen ZürichOrt: , wurde jedoch im Verlaufe des Spätmittelalters verschiedentlich differenziert. Der Richtebrief von 1304 enthält eine Übereinkunft mit Bischof Heinrich von KlingenbergPerson: , wonach die innerstädtische Gerichtsbarkeit zwischen Laien und Geistlichen durch die Schaffung des sogenannten PfaffengerichtsOrganisation: geregelt wird (SSRQ ZH NF I/1/1, S. 226-241). Dieses bestand aus zwei Chorherren des GrossmünstersOrganisation: und einem Chorherrn der FraumünsterabteiOrganisation: und war in Fällen der Niederen und Mittleren Gerichtsbarkeit bis zur Reformation das für den Weltklerus zuständige Gericht. Die Hohe Gerichtsbarkeit hingegen blieb dem Bischof von KonstanzOrt: überlassen.

Bezüglich Klagen zwischen Geistlichen und Laien auf der ZürcherOrt: Landschaft schuf erst die vorliegende Übereinkunft eine explizite Regelung. Im Vergleich zu den Bestimmungen des Richtebriefs kommt die stärkere Stellung der Stadt gegenüber dem Bischof zum Ausdruck: Artikel 2 setzt das «privilegium fori» für Fälle der Niederen und Mittleren Gerichtsbarkeit de facto ausser Kraft, indem Bürgermeister und RatOrganisation: sowohl über Geistliche als auch über Laien zu richten legitimiert werden. Im Zuge der Reformation kündigte die ZürcherOrt: Obrigkeit am 14. Februar 1523 die Übereinkunft.

Zur rechtlichen Stellung der Geistlichkeit in der Stadt ZürichOrt: vgl. Dörner 1996, S. 76-83.

Editionstext

Vertrag zwu̍schen minem herren von CostentzOrt: und minen herren von Zu̍richOrt: umb fraͤfel, so sich begeben ussert der stat Zu̍richOrt: zwu̍schen pfaffen und leyen

Artickel, so durch frids und schirms willen der priesterschaft und der leyen abgeredt sind umb fraͤfel und unfuͦg, so sich zwu̍schen inen erlofen moͤchten usserthalb der stat Zu̍richOrt: und doch in miner herren von Zu̍richOrt: gerichten und gebieten.

[1] Am ersten, ob sich einich zerwuͤrffnu̍ss mit worten ald werken zwu̍schen pfaffen und leyen begëbe, das da an die selben priester von den leyen so wol frid oder stallung moͤg erfordert und genomen werden und sy och so wol gegen leyen frid und stallung geben und halten soͤllen als leyen, bi der buͦs, als das in der stat Zu̍richOrt: richtbriefen1 verschriben staͧt und under inen von alterhar gebrucht ist.

[2] Zum andern, ob dhein fraͤfel ald unfuͦg gescheͣche, wie das weͣre, einem priester von eym leyen ald herwiderumb einem leyen von eim priester, soͤlich fraͤfel und unfuͦg soͤllen sy klagen, einem burgermeister und raͧt Zu̍richOrt: Organisation: , der dann gwalt hat. Und dann soll ein burgermeister und raͧtOrganisation: sy betagen, och sy gegen und wider ein andern mit ir kuntschaft, wedrer teil die stelt, mu̍ntlich hoͤren und die sach on gefaͧrlich uffzu̍g und hinderhalten usrichten bym eid, naͧch der getaͧt und naͧch dem anlass, als einen raͧtOrganisation: bedu̍cht und wie ir statt buͦssen sind.

[3] Wurde aber ein fraͤfel ald unfuͦg nit klagt, sy hetten sich guͤtlich verricht oder welten sust nit klagen, nu̍tzdestminder mag ein raͧt von Zu̍richOrt: Organisation: dem fraͤfel und unfuͦg naͧchfraͧgen und darumb richten, als sy es erfarend und naͧch irer stat gesatzt und ordnunng. Und doch, so ein raͧtOrganisation: dem handel naͧchgaͧt und es nit klagt wirt, das dann gericht werde naͧch der taͧt und nit naͧch dem anlaͧss und das och die buͦss falle uf den, so gefraͤfelt haͧt und och als dann kein parthy der andern u̍tzit bu̍sse.

[4] Und was buͦssen och also gefallen, es sig von frid versagen, fridbru̍chen, schlahen, zucken, weͣrffen, wunden ald ander unfuͦgen, warinn das weͣre, von priestern gegen leyen, da sol die buͦss, so der priester verfalt, gefallen sin eim bischoff von CostentzOrt: und sinem collectorSprachwechsel: Latein, so ein bischof je zuͦ ziten Zu̍richOrt: haͧt, soͤlichs an zeigt werden, die buͦssen, so eim bischoff gefallen, inzuͦnemmen.

[5] Was buͦssen aber also gefallen von den leyen gegen priestern, soͤlle die buͦss gefallen sin einer stat von Zu̍richOrt: .

[6] Und darinn sind usgesetzt fraͤfel und unfuͦg, so das malefitz- und hochgerichtOrganisation: beruͤrt, das die priester eim bischoff und die leyen einer statt von Zu̍richOrt: deshalb zuͦ straͧffen zuͦ gehoͤren soͤllen.2

[fol. 44v]Seitenumbruch

[7] Und harinn ist och vorbehept minem herrenIn der Vorlage: hren von CostentzOrt: sin oberkeit in stucken, so den ban beruͤrt. Ob sich begaͤbe, das einich fraͤfel beschehen, derohalb der gefraͤfelt in ban fiele, da sol der selb sich uff recht uss ban loͤsen und im zuͦ sym widerteil sin reͣcht behalten sin. Und falt der anlaͧss uff sinen widerteil, so sol der selb inn entschadigen.

Und dis ordnung sol also inkrefften beston untz uff eins bischofs von CostentzOrt: oder eins raͧts von Zu̍richOrt: Organisation: abku̍nden. Doch wedrerteil das nit mer halten welle, das der das dem andern ein halb jaͧrZeitspanne: 6 Monate vor hin verku̍nde.
Actum Zu̍richAusstellungsort: , uff sant KarolusPerson: aͧbend anno etcAbkürzung vjtoOriginaldatierung: 27.1.1506.

Anmerkungen

  1. Hinzufügung unterhalb der Zeile von späterer Hand: Uff sambstag vor der herren vaßnacht anno etcAbkürzung xxiijOriginaldatierung: 14.2.1523 habent mine herren raͤtt unnd burgerOrganisation: disern harinn verschribnenn vertrag sins innhalts verstanden unnd gehoͤrt unnd daruff sich erkent, das sollicher vertrag unserm gnaͤdigenIn der Vorlage: gn herren von CostentzOrt: abgeku̍nt unnd soͤllind doch die buͦssen und fraͤffel, so in mitler zit vor unnd e das halb jarZeitspanne: 6 Monate verschint, gefallenn moͤchtind, luth des vertrags gericht werdenn.
  1. Vgl. SSRQ ZH NF I/1/1, S. 51-52.
  2. Zur ZürcherOrt: Blutgerichtsbarkeit vgl. SSRQ ZH NF I/1/3 99-1 und SSRQ ZH NF I/1/3 100-1.