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SSRQ ZH NF I/2/1 271-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Zweite Reihe: Die Rechtsquellen der Stadt Winterthur. Band 1: Die Rechtsquellen der Stadt Winterthur I, von Bettina Fürderer

Zitation: SSRQ ZH NF I/2/1 271-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Verurteilung des Christian Ochsner und des Hans Wälti in Winterthur wegen Totschlags

1535 April 2. Winterthur

Vor Hans Meyer, dem Schultheissen von Winterthur, der in der grossen Ratsstube zu Gericht sitzt, klagen Hans Spiegeleisen und Heinrich Siber von Töss mit ihrem Fürsprecher Hans Heinrich Hegner gegen Christian Ochsner von Kemleten und Hans Wälti, Schneider aus Ottikon, wegen Totschlags an ihrem Verwandten Peter Karrer von Töss auf offener Reichsstrasse. Als Beweismittel dienen Karrers Gewehr und Kleider sowie ein am Tatort gefundener Splitter der Tatwaffe. Da die Angeklagten den Totschlag im Gerichtsbezirk der Stadt verübt haben, wurde innerhalb dieses Bezirks an der Tösser Strasse kürzlich der erste Landtag und heute in Winterthur der zweite Landtag abgehalten. Auf dem dritten und letzten Landtag haben die Kläger ihre Klage gegen Christian Ochsner und Hans Wälti wiederholt und die Todesstrafe gefordert. Der Winterthurer Stadtknecht Hans Eberli hat ausgesagt, dass er die Angeklagten zu allen drei Landtagen vorgeladen habe, doch sie sind weder persönlich erschienen noch haben sie sich vertreten lassen. Daraufhin wurde beschlossen, dass man die Gerichtsschranken an drei Seiten öffnen und an jeder Strasse die Angeklagten ausrufen und ihnen sicheres Geleit gewähren solle, um sich vor Gericht zu verantworten. Anschliessend wurde nach der Umfrage des Richters das Urteil gesprochen, dass der Besitz der beiden Angeklagten, die sich nicht für den begangenen Totschlag vor Gericht verantwortet haben, der Stadt Winterthur zustehe und davon zunächst die Gerichtskosten getragen werden sollen. Können die Kläger die Angeklagten innerhalb des städtischen Gebiets ergreifen, dürfen sie sie töten. Wer dies dann rächen wollte, soll derselben Strafe verfallen. Auf Antrag erhalten die Kläger eine Ausfertigung des Urteils. Der Aussteller siegelt mit seinem Gerichtssiegel.

  • Signatur: STAW B 3a/1, fol. 120v-121v
  • Originaldatierung: 1535 April 2
  • Überlieferung: Abschrift
  • Beschreibstoff: Papier
  • Format B × H (cm): 23.5 × 34.0
  • Sprache: Deutsch
  • Schreiber: Gebhard Hegner

Das vorliegende Gerichtsurteil ist im Formularbuch des WinterthurerOrt: Stadtschreibers Gebhard HegnerPerson: überliefert (STAW B 3a/1). Der Ablauf dieser Verhandlung entspricht der Verfahrensordnung des WinterthurerOrt: Blutgerichts bei Akkusationsprozessen, die im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts aufgezeichnet wurde (STAW AG 95/1/95). Sie definiert zehn Prozessschritte: Die ersten drei Schritte entsprechen weitgehend dem Verfahren bei Inquisitionsprozessen (vgl. SSRQ ZH NF I/2/1 253-1), dann folgt das Prozedere der Klageerhebung seitens der Partei des Klägers («4. frag»), das ausführlich beschrieben wird: Annahme eines Fürsprechers durch den Kläger, Erteilung des Worts an den Fürsprecher durch den obersten Knecht, Vortrag des Fürsprechers und Antrag, den Angeklagten nach Reichsrecht zu richten. Anschliessend wurde abgeklärt, ob die Ladung des Angeklagten durch den obersten Knecht rechtmässig erfolgt war (5). Dann öffnete man die Gerichtsschranken an drei Stellen und der oberste Knecht rief den Angeklagten dreimal auf, sich bei freiem Geleit vor dem Gericht zu verantworten (6). Nach einer gewissen Zeit wurden die Gerichtsschranken wieder geschlossen (7-8). Nachdem sich das Gericht beraten hatte (9), wurde die Verhandlung vertagt (10) und am dritten Gerichtstag das Urteil verkündet. Zu diesem Verfahren, auch «landtag» genannt, vgl. Gut 1995, S. 129-132.

Editionstext

Urtalbrieff umb ein todschlag

Ich, Hanns MeyerPerson: , schultheis zuͦ WinterthurOrt: , thuͦn kund maͤngklichem mit disem brieff, das ich uff hüt sinem datum zu WinterthurAusstellungsort: in der stat in der grosenn ratstuben ein offen, verbanen gricht gehalten hab und für mich, ouch das verbanen gricht komen sind die erberenn Hans SpiegelysenPerson: und Heinrich SyberPerson: , albed ab der straß zuͦ ToͤßOrt: , sampt anderen iren gesipten fründen unnd verwanten, ouch bystenderen, an einem und clagten da durch iren zuͦ raͤcht angedingten fürspaͤchenn Hans Heinrichen HegnerPerson: und raͤt zem raͤchten, wie das Cristan OchsnerPerson: von CemlatenOrt: und Hans WaͤltyPerson: , schnider zuͦ OtikenOrt: , verschiner tagen Petter KarerPerson: von ToͤßOrt: ab der strass, ir, Hans SpiegelysenPerson: und Heinrichen SybersPerson: , angebornen fründ und vetteren saͤlig, alls der da haͤr uff friger richstraß gangen, in d’stat WinterthurOrt: gwoͤllen, sin gschaͤfft zuͦ volbringen, uff woͤlicher richstras dis zwenMenge: 2 unversaͤchenn an in gstosenn und den selben iren fründ one ursach und unerforderet alles raͤchten mit ir saͤlbs gwalt vom laͤben zem tod gepracht habind. Des zuͦ gezügnüss Peter KarersPerson: saͤlgen gwer und cleider, die er der selbigen stund an sinem lyb gehept, ouch ein langen spitz von des einen gethaͤters gwer oder schwerdt, so uff der waldstat funden wordenn, oͤb man der gethat nit gichtig woͤllte sin, in des grichtz ring saͤche ligen.
Unnd dwyl bemelte Cristan OchsnerPerson: und Hans WaͤltyPerson: soͤlichen todschlag in einer stat WinterthurOrt: hochen und nideren grichten begangen und sy darumb kurtz verschiner tagen obnen an der ToͤserOrt: straß in einer stat WinterthurOrt: hochen und nideren gerichten uff der waldstat den ersten landtag gegen den genanten Cristan OchsnerPerson: und Hans WaͤltyPerson: gleist und den selben ersten landtag lutt ir gethanen clag mit urtaill und raͤcht behaltenn, deßglichen ouch uff hütt alhie zuͦ WinterthurOrt: alls den anderen darumb angesetzten landtag aber gegenn genantem Cristan OchsnerPerson: und Hans WaͤltyPerson: mit ir gethanen clag, wie obstat, geleistet1 und soͤlich den anderen landtag nach irem gethanen raͤcht satz lut irer clag wie den ersten mit urtail und raͤcht ouch behalten haben. Und dwyll uff hüt alda in der fuͦß stapffenn der drit landtag als der endtag ouch gehalten soͤll werden so also uff Hans SpiegelysenPerson: und Heinrichen SybersPerson: , ouch irer früntschafft [fol. 121r]Seitenumbruch anrrueffen an ToͤserOrt: straß uff der waldstadt, als den ersten landtag durch die richter umb minder costens willen angesaͤchen, abgeret und beschlosen ist, und so das gricht ouch by voriger verbanung soll plyben unnd den clegerenn mit urtail zuͦgelasen, ir clag glich angaͤntz, aber uff hüt alls uff den dritten landtag und endtag, alda vor offnem gricht zeeroͤffnen.
Daruff die genanten Hans SpiegelysenPerson: und Heinrich SyberPerson: sampt iren gesipten fründen und bystenderen durch iren angedingten fürspraͤchenn Hans Heinrich HegnerPerson: ir clag zuͦ gedachten Cristan OchsnerPerson: und Hansen WaͤltinPerson: glicher wyß, wie vor, gethann und verhofft, die wyl die vilgemelten Cristan OchsnerPerson: und Hans WaͤlthinnPerson: solichen todschlag an gedachtem Peter KarerPerson: , irem fründ, saͤlgenn wie ob mit ir saͤlbs gwalt, on alle raͤchtliche ervolgung, on ursach in einer stat WinterthurOrt: hochen und nideren gerichten begangen und gethan, das dan sy bed dadurch ir lyb und laͤben, hab und guͦt verwuͤrckt haben und darumb nach keiserlichen und nach der stat WinterthurOrt: , ouch des grichtz bruch und raͤcht zuͦ inen gericht soͤlle werdenn. Also nach irem gethanen raͤcht satz und alß ouch Hans AberlyPerson: , statknaͤcht zuͦ WinterthurOrt: , by sinem geschwornem eyd vor gricht gesagt, das genanten Cristan OchsnerPerson: und Hans WaͤltyPerson: an denen ortten und enden, da sy untzhaͤr vor und in der gethat wonhafft gwaͤsen, uff den ersten und uff den anderen, ouch uff den dritten landtag, alle mall by guter zit verkündt, und aber sy noch niemants von irenthwegen nit komen noch erschinenn, soͤliche clag zuͦ verantwurtenn. Hieruff ist erkent, das man des grichtz schrancken an drigenMenge: 3 enden uffthuͦn und an yeder straß den Cristan OchsnerPerson: und Hans WaͤltyPerson: ein mall geruefft, ouch in all mall in soͤlichem rueffen frig, sicher gleit an das raͤcht, ir begangen ubel zuͦ verantwurtten, geben soͤll werden. Wie das alles durch den geschwornen statknaͤcht beschaͤchen ist, aber zuͦ raͤcht erkenth, das man ein guͦt will nach erhollung diser rueffen wartten.
So beschehen, ist witter zuͦ raͤcht erkenth, das man des grichtz schranncken widerumb zuͦ thuͦn, so ouch volgangen. Und alß die vorgenanten Hans SpiegelysenPerson: und Heinrich SiberPerson: sampt irer fründtschafft und bystand von Peter KarersPerson: , irs fründs, saͤlgen waͤgen mit eroͤffnung irer clag und zuͦgefuegten schaden gegen den genanten Cristan OchsnerPerson: und Hans WaltyPerson: den erstenn, den anderen und yetz den driten [fol. 121v]Seitenumbruch lanndtag gesucht unnd geleist unnd den gemelten Cristan OchsnerPerson: und Hans WaͤltyPerson: by guͦter zit nach grichtz bruch verkündt, ouch uff yetlichem landtag lut gerichtz uffgethanen schrancken zum dritten mal durch den obersten statknaͤcht offenlich geruefft und alle mal inen darby ein sicher gleit an das raͤcht gaͤben worden, und so aber offtgenante Cristan OchsnerPerson: und Hans WaͤltyPerson: noch niemand von irenthwegen, weder uff den ersten noch hüt den anderen und driten landtag nit komenn noch erschinen, soͤliche uff sy beschehne clag zuͦ verantwurten, hieruff so ist nach min, des richters, umbfrag zuͦ raͤcht erkennt, das genaͤmpte Hans SpiegelysenPerson: und Heinrich SyberPerson: , ouch ir gesipten fründ den driten landtag lut ir clag mit urtail und raͤcht wie die anderenn zweyMenge: 2 ouch behalten haben unnd das vill genante Cristan OchsnerPerson: und Hans WaͤltyPerson: von soͤlichs todschlags wegen, so sy an Peter KarerPerson: saͤlgen begangen, all ir hab und guͦt, ligentz und varentz, zuͦ buͦß und straff minen heren von WinterthurOrt: soͤlle verfallen sin, doch das zvͦor von solichem guͦt dem landtgricht allen sin erlittnen costen soͤlle abgetragen werdenn, und darzuͦ ir lyb und laͤben dem Hans SpiegelysenPerson: und Heinrichen SyberPerson: und anderen des Peter KarersPerson: saͤlgen gesipten fründen verfallen sin, wo sy die in der stat WinterthurOrt: , ouch dero gricht unnd gepiet betraͤtten, das sy die mit ir saͤlbs gwalt und that wol vom laͤben zem tod bringen oder mit raͤcht getoͤdt soͤllind werden, und uber sy witter kein rach noch straff nit soͤlle gan, keins waͤgs. Und wer des Cristan OchsnersPerson: und Hans WaͤltinPerson: tod aͤfferty oder understat zuͦ raͤchen, der soll in buͦß und in der straff stan, darin bemelte zwenMenge: 2 gethaͤter Cristan OchsnerPerson: und Hans WaͤltyPerson: mit urthaill erkenth sind.
Und des zuͦ warem urkund, so hab ich, obgemelter schultheis und richter in diser sach, min eigen insigel von gerichtz waͤgen, doch minen heren und einer stat WinterthurOrt: und iren nachkomen, deßglichen mir und minen erben one schaden, offenlich gehenckt an disen brieff und den offtgedachten Hans SpiegelysenPerson: und HeeinrichenAuffällige Schreibung SyberPerson: uff ir begaͤr gaͤben etcAbkürzung.2

Anmerkungen

  1. Hinzufügung unterhalb der Zeile von späterer Hand: Datum fritags allernechst nach dem heilligen ostertag, anno etcAbkürzung 1535Originaldatierung: 2.4.1535.
  1. Der erste Landtag war am 15. März 1535 abgehalten worden (STAW B 2/8, S. 180).
  2. Das Urteil wurde in das Urteilbuch eingetragen (STAW B 2/8, S. 181).