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SSRQ ZH NF I/2/1 95-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Zweite Reihe: Die Rechtsquellen der Stadt Winterthur. Band 1: Die Rechtsquellen der Stadt Winterthur I, von Bettina Fürderer

Zitation: SSRQ ZH NF I/2/1 95-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Siechenhausordnung der Stadt Winterthur

ca. 1468 – 1481.

Schultheiss und Rat von Winterthur erlassen eine Ordnung für das Sondersiechenhaus. Sie erlegen den Insassen Pflichten auf bezüglich Eidleistung, Austragung von Konflikten mit dem Pfleger (3) und Gebet (5). Sie verbieten das Spielen (1), die Verschwendung von Zuwendungen (2), aussereheliche sexuelle Kontakte und anstössiges Verhalten (4). Auswärtige Kranke erhalten Herberge und Verpflegung (6, 8), sie dürfen aber kein Licht mit sich tragen (7). Nachträglich wird von anderer Hand ergänzt: Die Insassen haben Anspruch auf drei Fleischrationen pro Woche sowie Mus und Brot (9) und erhalten Wein von den Almosen (11). Ihnen steht ein Bad zur Verfügung, das sie auf eigene Kosten nutzen können (10).

  • Signatur: STAW AC 27/1.1
  • Originaldatierung: ca. 1468 – 1481 (Der Schreiber amtiert in diesem Zeitraum.)
  • Überlieferung: Aufzeichnung (Einzelblatt)
  • Beschreibstoff: Pergament
  • Format B × H (cm): 19.0 × 41.5
  • Sprache: Deutsch
  • Schreiber: Georg Bappus
  • Edition

  • Signatur: STAW AC 27/4
  • Originaldatierung: 16. Jh.
  • Überlieferung: Abschrift (Doppelblatt)
  • Beschreibstoff: Papier
  • Format B × H (cm): 21.0 × 33.0
  • Sprache: Deutsch
  • Signatur: STAW AC 27/1.2
  • Originaldatierung: 17. Jh.
  • Überlieferung: Abschrift (Doppelblatt)
  • Beschreibstoff: Papier
  • Format B × H (cm): 21.0 × 33.0
  • Sprache: Deutsch

Die Insassen und Gäste des WinterthurerOrt: LeprosoriumsOrganisation: mussten sich eidlich zur Einhaltung der Siechenhausordnung verpflichten, bei Verstössen drohte ihnen im äussersten Fall die Ausweisung. Gegen diese rigide Praxis wandten sich Bürgermeister und Rat von ZürichOrt: Organisation: mit Bezug auf einen Beschluss im Rahmen der eidgenössischen TagsatzungOrganisation: vom 8. Juni 1567, Leprose in Siechenhäusern zu versorgen und nicht bettelnd umherziehen zu lassen (EA, Bd. 4/2a, Nr. 288t). Sie empfahlen, Übertritte mit Weinentzug zu strafen (STAW AC 27/18).

1528 erliessen Schultheiss und Rat von WinterthurOrt: Organisation: eine neue, ausführliche Satzung für das SiechenhausOrganisation: (SSRQ ZH NF I/2/1 244-1). 1587 wurde die Satzung des SiechenhausesOrganisation: einer Revision unterzogen (STAW AC 27/21). Ähnliche Vorschriften, die das Leben im Siechenhaus regelten, wurden auch in anderen Städten erlassen, vgl. den Überblick bei Sutter 1996, S. 70-76.

Die Nachträge der vorliegenden Siechenordnung (Artikel 9, 10 und 11) wurden jeweils von einem anderen Schreiber verfasst.

Editionstext


Min herren, schultheis und ein rǎtOrganisation: , tuͦnd u̍ch sundersiechen ze
wu̍ssen, das ir werdent schweren ein eid liplich zuͦ gott und
den heiligen1, des hus nuttz und ere, sin schaden zewenden,
sin nuttz zefu̍rdern und dis nachgeschriben ding zehalten.

Item ir soͤllen nit spilen noch karten, weder lu̍tzel noch vil.2
Ir
soͤllen ouch dem hus lǎussen beliben alles, das u̍ch wirt geben,
es sig durch gottzwillen oder sunst, klein und groß, und das nit
verthuͦn dann an u̍wer lips narung.3
Me soͤllen ir kein pfleger
verclagnen denn vor eym schultheis, sym statthalter oder vor
eym des kleinen rǎtzOrganisation: .4

Item ir sond ouch kein man oder frowen by einanderen ligen
lǎussen, sy syen dann eelu̍t,5 und sond ouch kein unfuͦr
lǎussen volbringen mit schweren oder ander weg, wēnig
noch vil.6

Item ein yettlicher sol gebunden sin, alle tagWiederholte Zeitspanne: 1 Tag ze sprechen vijMenge: 7
Paternoster und sovil Ave Maria, ouch ze morgenZeitspanne: morgens und ze
abentZeitspanne: abends, so man das Ave Maria lu̍t, das Ave Maria ze petten
dristund unser lieben frowen ze lob und zuͦ angedaͤchtniß ir hinscheidung. Es sol ouch yettlicher ze morgensZeitspanne: morgens und zenachtZeitspanne: nachts
sprechen jMenge: 1 Paternoster und jMenge: 1 Ave Maria vor tisch ze lob
und ze eren unßerm lieben herren und siner wirdigen muͦter
und allen heiligen, ouch zuͦ hilff und ze trost allen gloͤbigen
selen und denen selen, von denen es dar komen ist.7
[S. 2]Seitenumbruch

Item wenn ein ellender mentsch kumpt in das hus und herberg begert, er kum von BadenOrt: oder sunst, so soͤllen die
pfruͤnder ein mittliden mit im han, das er bruͤderlich gehalten werd. Und ob das wēr, das ein pfruͤnder, der sich des
ellentz nit geniettet hett, den ellenden bruͦder nit verguͦtt
hett, so sol ein meister und die andern pfruͤnder daran sin,
das er bruͤderlich gehalten werd. Wǎn das hus ist nitt
allein gebuwen worden von der pfruͤnder wegen, sunder
ouch von der ellenden wegen.

Es sol ouch kein gast ein liecht in kein kamer, wenn er
schlǎffen gǎt, noch in die staͤll tragen.8
Wenn ouch ein
siech in dem hus kranck wirt, hǎt er barschafft by im,
die sol er eym meister antwurten, der sol im das best davon thuͦn. Und wenn er nit mer hett, so mag der meister
im wol ein suppen und ein muͦß heissen geben. Wurd
aber an der barschafft u̍ber, das sol gefallen an der
ellenden pett.9
a–
Item also so git man eim alle wuchenWiederholte Zeitspanne: 1 Woche iij stund fleisch und
dar zuͦ muͦss und brot, wie es daͤn je min herren, ein
schultheis und ein rattOrganisation: , an sicht.10
Hinzufügung unterhalb der Zeile von anderer Hand
–a
b–
Item sy soͤllend oͧch badstuben heitzen an des hus costen und schaden
und deß selben glich den bader an deß huß schaden halten.11
Hinzufügung unterhalb der Zeile von anderer Hand
–b
c–
Item es sol ouch allweͣgen ein jegklicher des hus pfleger
das gelt, so inen uff dem kilchhoff durch got geben wirt,
den siechen umb win geben und inen soͤlchen win
glich usteilen und geben.12
Hinzufügung auf der Rückseite von anderer Hand
–c
[Vermerk auf der Rückseite von Hand des 15. Jh.:]
Der sundersiechen
ordnung
[Vermerk auf der Rückseite von Hand des 16. Jh.:]
Ein alte ordnung für die sundersiechen gemacht
[Vermerk auf der Rückseite von Hand des 18. Jh.:] Anno 1518Datum: 151813

Anmerkungen

  1. Hinzufügung unterhalb der Zeile von anderer Hand.
  2. Hinzufügung unterhalb der Zeile von anderer Hand.
  3. Hinzufügung auf der Rückseite von anderer Hand.
  1. In der Abschrift aus dem 16. Jahrhundert sind die «heiligen» durchgestrichen (STAW AC 27/4, S. 1) und auch in der Siechenordnung von 1528 ist nur noch von einem Eid zu Gott die Rede (SSRQ ZH NF I/2/1 244-1, Artikel 3).
  2. Vgl. Satzung des SiechenhausesOrganisation: von 1528 (SSRQ ZH NF I/2/1 244-1, Artikel 3.1).
  3. Vgl. Satzung des SiechenhausesOrganisation: von 1528 (SSRQ ZH NF I/2/1 244-1, Artikel 3.2).
  4. Vgl. Satzung des SiechenhausesOrganisation: von 1528 (SSRQ ZH NF I/2/1 244-1, Artikel 3.3).
  5. Die Satzung des SiechenhausesOrganisation: von 1528 sah eine Woche Weinentzug vor für Männer und Frauen, die man zusammen in einem Bett liegend antraf. Waren sie unerlaubter Beziehungen verdächtig, durften sie sich nicht zu zweit in einem Raum aufhalten, sonst verloren sie ihre Pfrund für eine Woche (SSRQ ZH NF I/2/1 244-1, Artikel 3.6, 3.7).
  6. Vgl. Satzung des SiechenhausesOrganisation: von 1528 (SSRQ ZH NF I/2/1 244-1, Artikel 3.8).
  7. Die Satzung des SiechenhausesOrganisation: von 1528 schrieb als Tischgebet ein Vaterunser vor und nach dem Essen vor (SSRQ ZH NF I/2/1 244-1, Artikel 3.13). Die Missachtung der Gebetsvorschriften wurde im SpitalOrganisation: mit Weinentzug geahndet (SSRQ ZH NF I/2/1 118-1).
  8. Vgl. Satzung des SiechenhausesOrganisation: von 1528 (SSRQ ZH NF I/2/1 244-1, Artikel 3.27).
  9. Der WinterthurerOrt: Erhard von HunzikonPerson: errichtete am 17. Juni 1510 eine Stiftung zugunsten des LeprosoriumsOrganisation: , wobei er besonderen Wert auf die Verpflegung leprakranker Gäste legte (STAW URK 1937; Regest: Hauser 1901, S. 28-30). An diesen Bestimmungen orientiert sich die Satzung des SiechenhausesOrganisation: von 1528 (SSRQ ZH NF I/2/1 244-1, Artikel 2.2).
  10. Die Satzung des SiechenhausesOrganisation: von 1528 sah eine Wochenration von 3 Pfund Fleisch und vier Broten sowie täglich ein halbes Mass Wein vor (SSRQ ZH NF I/2/1 244-1, Artikel 1.2, 1.4, 1.7).
  11. Gemäss Satzung des SiechenhausesOrganisation: von 1528 konnten die Insassen alle drei Wochen auf eigene Kosten baden (SSRQ ZH NF I/2/1 244-1, Artikel 1.5).
  12. Die Aufteilung der Spenden regelte die Satzung des SiechenhausesOrganisation: von 1528 detaillierter (SSRQ ZH NF I/2/1 244-1, Artikel 3.17, 3.18, 3.19).
  13. Für diese Datierung gibt es keine Grundlage.