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SSRQ ZH NF II/11 61-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil: Rechte der Landschaft. Band 11: Die Obervogteien um die Stadt Zürich, von Ariane Huber Hernández und Michael Nadig

Zitation: SSRQ ZH NF II/11 61-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Urteil des Rats von Zürich im Konflikt zwischen dem Grossmünsterstift und Inhabern von Pfründlehen in Hottingen, Fluntern und Unterstrass

1538 August 17.

Bürgermeister und beide Räte von Zürich urteilen in einem Konflikt zwischen Meister Felix Fry, Propst, und dem Kapitel des Grossmünsterstifts einerseits, und mehreren Inhabern von Pfründlehen des Stifts in Hottingen, Fluntern und an der Unteren Strasse anderseits. Die Lehenleute weigern sich, sich den Bestimmungen des Rodels entsprechend vom Stift belehnen und die Handänderung bestätigen zu lassen sowie die Abgaben zu entrichten, da dies bisher auch nicht eingefordert worden sei. Sie stören sich namentlich am Fallrecht und am Rückfall (Rückgabe an den Grundherrn), da ihre Vorfahren die Güter als freies lediges Eigen vom Stift gekauft hätten. Im Übrigen seien diese Rechtsansprüche in ihren Kaufbriefen nicht aufgeführt. Zudem stellen sie die Rechte des Stifts aufgrund der durch die Reformation erfolgten Veränderungen (Abtretung der Gerichte an Zürich, Aufhebung der Leibeigenschaft) in Abrede. Das Stift räumt ein, die genannten Rechte zwar wegen unruhiger Zeiten seit Jahren nicht ausgeübt zu haben, was jedoch deren Gültigkeit keinen Abbruch tue. Zudem würden sich diese Rechte nicht auf die Personen, sondern auf die Güter, welche diese als Lehen besitzen, beziehen. Das Stift hofft, in seinen Rechten geschützt zu werden, zumal die Obrigkeit 1532 und 1533 den übrigen Inhalt der Rödel und Offnungen bestätigt habe. Da auch die Lehenleute auf ihrer Sichtweise beharren, weist der Kleine Rat, der sich zuerst mit dem Konflikt befasst hat, die Angelegenheit an Bürgermeister und Grossen Rat. In Anbetracht dessen, dass durch die Abtretung der Gerichte an Zürich die übrigen Rechte des Stifts unangetastet geblieben sind, wird entschieden: Jede Handänderung der Pfründlehen als des Stifts Eigentum muss dem Rodel entsprechend vor Propst und Chorherren sowie den Stiftspflegern geschehen und gefertigt werden. Der Fall und andere Pflichten gegenüber dem Stift sind ebenfalls gemäss Rodel zu entrichten. Lediglich der Artikel betreffend den Rückfall, der bestimmt, dass die Güter nur bis in das zweite Glied geerbt werden können, wird ausser Kraft gesetzt. An dessen Stelle tritt das allgemeine Erbrecht. Diese Bestimmungen sollen fortan in die Fertigungsurkunden einfliessen, damit sie den Lehenleuten bekannt sind. Die Aussteller siegeln mit dem Sekretsiegel.

  • Signatur: StAZH C II 1, Nr. 880
  • Originaldatierung: 1538 August 17
  • Überlieferung: Original
  • Beschreibstoff: Pergament
  • Format B × H (cm): 57.5 × 33.5 (Plica: 6.5 cm)
  • 1 Siegel:
    1. Stadt ZürichPerson: , Wachs, rund, angehängt an Pergamentstreifen, gut erhalten
  • Sprache: Deutsch
  • Schreiber: Werner Beyel, Stadtschreiber von Zürich

Editionstext


Wir, burgermeyster unnd rath unnd der groß rath, so man nempt die zweyhundert, der statt ZürichOrt: Organisation: , thuͦnd kundt mengklichem mit disem brief, das sich erstlich vor unnseren
lieben herren unnd mittburgeren, den kleynen oder täglichen räthenOrganisation: , spënn unnd stöß erhept haben zwüschen den eerwürdigen, wolgeleerten, ouch eersammen herren, meyster Felix FrygenPerson: , probst, unnd dem gemeynen capitel der gestifft
zur probstye allhye zum Großen Münster
Organisation:
inn derselben stifft unnd gemeyner chorherrenOrganisation: nammen an eynem, sodenn den unnseren, Mathysen SchwertzenbachPerson: , Hannsen WäberPerson: , dem wirt zur CronenOrt: , Cuͦnradten HornnerPerson:
von HottingenOrt: , Heyni SchnydernPerson: , Niclaus KlymmernPerson: , Conradt FläschlernPerson: , all dryg von FluͦnterenOrt: , unnd Andres MüllernPerson: ab der Unndern StraaßOrt: , alß die, so obgedachter stifftOrganisation: eygenthuͦmbs unnd leehen guͤttere, so man pfruͦndleechen nempt, besitzend, am annderen teyl, deßwëgen, das ersternempte der stifft hußgenoßen ald leehenlüth sich widerretend, ettliche ire guͤtter unnd pfruͦndleechen, so gemelter stifft unnd den chorherren zum Großen MünsterOrganisation:
von eygenthuͦmbs unnd ires hofes zuͦ FluͦnterenOrt: wëgen zuͦgehörig werind, vor einem probst innammen yetzgemelter stifft zuͦempfachen unnd die koüff, so darumb beschëchend, daselbs zuͦferttigen, deßglychen anndere pflichten, dienst
unnd rëchtungen zethuͦn, so sy vorgemelter stifft unnd den chorherrenOrganisation: lut unnd vermög ires rodels schuldig, wie die von altemhär kommen unnd brucht sind.1
Das aber die chorherrenOrganisation: vermeyntend, unbillich unnd dem hoff rodel,
ouch iren gerëchtigkeyten unnd altemharkommen abbrüchlich unnd unerlydenlich sin, denn diewyl sy ettliche der obgenannten leehenlüthen ald hußgenoßen ire guͤtter unnd pfruͦndleechen nach lut deß rodels gelichen, deßglychen
inen unnd den annderen hußgenoßen den kernen, haber, wyn, gëlt, holtz unnd anndere gerëchtigkeyt, was der rodel ußwise unnd vermöchte, guͤttigklich bißhar one widersprëchen gëben unnd verfolgen laßen, ouch inen daran keyn intrag gethan hettind noch zethuͦn unnderstuͤndind. So verhofftend sy dargëgen, ouch billich sin, das die hußgenoßen inen ouch ire pflicht, was sy inen lut deß rodels schuldig thättind, unnd dem rodel geläptind oder der gestifftOrganisation: die
guͤtter, als iren widem unnd recht eygenthuͦmb, liggen lyessind.
Welliche anforderung die obgemelten leehenlüth ald hußgenoßen vermeyntend, inen frömbd unnd hochbeschwärlich sin, dann, so ire vorderen (an die sölliche
guͤtter ald pfruͦndleechen, ettliche kouffs unnd ettliche inn leehens wyß, kommen wërind) sölliche beschwärden gewüßt, das sy derselben pfruͦndleechen halb der chorherrenOrganisation: eygen unnd fellig unnd dieselben chorherrenOrganisation: ire eerben worden sin
söltind, werind sy dëren gewüßlich wol muͤssig gangen unnd hettind die so thüwr nit erkoufft. Inen were aber söllicher vermeynter rëchtungen oder beschwärden unntz uff dise zyt nye gedacht, sunder sölliche guͤtter one mëldung eynicher beschwärden zum teyl zekouffen gëben unnd zum teyl gelichen. Sy ouch söllicher koüffen unnd leehen mit brieff unnd siglen (dëren sy ettlich für unns leyttend) fryg gefergget worden, wellicher briefen ettlich ein probst selbs
gesiglet, unnd doch inn demselben leechenbrieff obgeruͤrter beschwärden gar keyn mëldung gethan. Sy unnd ire vorderen hettind ouch sölliche guͤtter nun sovyl jar inngehept, das inen nye nützit gedachter dingen halb angevordert, dann das sy nye annders gewüßt, ouch nye annders gehört, dann das sy nach dem gewonlichen zinß nyemandts nützit darby schuldig. Dann mengklich möchte wol gedengken, wie schwär sy hierinn betrogen wërind, wenn sy erst umb diser
guͤttern willen (die inen für fryg, ledig eygen zekouffen geben worden), den chorherrenOrganisation: fellig, deßglychen dieselben ire eerben sin söltend, so einer nit zuͦ dem ersten oder zuͦ dem annderen glid eerben hette. Darzuͦ so stuͤnde ouch inn dem rodel,
das der leemann zwen hänndschuͦ uff den fronaltar leggen sölte, da wüßten wir wol, das sölliche verwenndte ceremonien unnd kilchen brüche durch unns cristennlicher meynung hyngeleyt unnd nyenan keyn altar meer, deßhalb unnmüglich
were, dem rodel inn disem faal nachzekommen.2 So hettind ouch die chorherrenOrganisation: die gerichte zuͦ FluͦnterenOrt: (wie wir wüßtend) hyehär an unnser stangen übergëben unnd sich aller gerichtszwängen verzigen, deßhalb es ouch nit kommenlich ald
fuͦgklich meer were, die guͤtter an eines herren hannd zeferttigen, so er doch keynen stab meer hette.3 Zuͦdemm so wüßte man ouch wol, das sich die chorherrenOrganisation: der eygenen lüthen fäl unnd geläßen unnd annderer derglychen dienstbarkeyten enndtzigen
unnd nyenan eygen lüth meer, deßhalb sy frylich keyn gerëchtigkeyt meer hettind, inen ein faal zeforderen. Inn hoffnung, by iren fertigungs brief unnd siglen unnd langharbrachtem ruͤwigem innhaben geschirmpt unnd inn keynen
wëg wider ire brief unnd sigel der chorherrenOrganisation: anmuͦttung zuͦgestatten genöttet, sunder von irer unbegründten clag unnd vorderung ledig erkennth zewerden.4
Unnd als aber die chorherrenOrganisation: fürgezogen, das sy sich lënnge der zyt nüt liessind irren, diewyl die koüff unnd fertigungen wider ires rodels sag, zum teyl hynder inen unnd on ir wüßen, ouch inen unverkündt, an ordten, da das nit sin soll, uffgericht worden, so möchte sy ouch das lanng schwygen an iren gerëchtigkeyten
nüt schwechen, dann söllichs der unruͤwigen zyten unnd loüffen halb, so bißhar vil jar gewësen, damit sy unns nit benuͤgen muͤßtend, unnd nit darumb beschëchen, das sy darumb von irer gerëchtigkeyt stan ald die nit meer erfordern wölten,
dann lanng gebeyttet were darumb nit geschenngkt5. Darzuͦ wüßtend wir wol, das zweygerley eygentschafft were, nemmlich der personen unnd der guͤtteren. Nun sprechend sy der leelüthen lyb unnd person keyner eygentschafft an, dann
alleyn von der hoff guͤttern ald pfruͦnd leehen wëgen. Wer dieselben besëße, der muͤßte ein faal gëben unnd were darumb nit eygen. So möchte diser fürzug die widersächere ouch nit schirmmen, das sy unns die gerichtliche oberkeyt zuͦgestelt, dann
sy darumb ire guͤtter, leehen, eygentschafft, zinß, gült, höf unnd anndere gerëchtigkeyten nit von hannden gëben, sonnder inen die sampt iren rödlen, offnungen unnd nutzungen vorbehalten, wie wir inen das ouch nëchst hievor im zwey unnd
dryßigesten jar
Datum: 1532
bestättet hettind, das sy sampt unnsern pflëgeren die verwalten söllind unnd mögind, nach iren eeren. Unnd der hënndschuͦchen halben uff den altar zeleggen, könndten wir ungezwyflet ouch wol ermäßen, das söllichs one grund
von den widersëcheren ingezogen wurde, alleyn sy gegen unns inn ungunst zefuͤren unnd die sach verhaßt zemachen. Inn hoffnung, wir wurdint unns das alles nützit laßen irren, sunder sy by irem rodel, deßglychen iren frygheyten
unnd gerëchtigkeyten gnëdigclich schützen unnd schirmen, diewyl wir doch inen söllichen rodel inn nëchstvergangenem drüunddryßigesten jarDatum: 1533 bestättet unnd zuͦcrefften erkennth hetten.
Unnd als nun die leelüth wie vor uff iren
fertigungen, ouch brief unnd siglen verharret unnd gedachte unnsere lieben herren unnd mittburger, die kleynen räthOrganisation: , dise sach, diewyl die unnsere mandaten ettwas beruͤrt, für unns, die meerere oberkeyt, zuͦ lütterung gewisen, wir
ouch die zuͦ meermaln vor unns gehept unnd der parthygen ingeleyten brief, rödel unnd schrifften durch ettliche unnsere darzuͦ verordnete ratsanwält eygentlich nach aller notturfft besichtigen unnd erduren unnd unns daruff ires
guͦtbedungkens, unnd wie sy den hanndel funden, ordennlich berichten laßen, unnd unns darnëben wol erinneret, das unnser meynung nit gewësen, alß die chorherrenOrganisation: unns die gerichte übergëben, das sy damit von anndern iren rëchtsamminen unnd nutzungen ganngen oder dero endtsetzt sin sölten.
So haben wir unns jüngst nach clag, anntwurt, red unnd widerred, ouch nach verhörung beyder parthygen ingeleytter briefen unnd gewaarsamminen, nach grundtlichem
erwëgen alles deß, das hierinn zuͦerduren unnd zuͦerwëgen gewësen ist, uff beschëchnen rëchtsatz mit urteyl zuͦ rëcht erkennth unnd gsprochen, das die hußgenoßen unnd besitzere der pfruͦndleehen alß deß gestifftsOrganisation: eygennthuͦmb, wenn
sy die verënnderen wellen, nach deß rodels sag an deß bropsts unnd der chorherrenOrganisation: , deßglychen unnserer geordneten pflëgeren hännde uffgëben unnd daselbs vor inen ferggen.6 Darzuͦ den guͤtterfaal, wie der rodel das zuͦgipt, richten unnd bezalen,
doch soll der artigkel deß widerfaals halb, das man die guͤtter nit eerben sölle, dann unntz inn das annder glid, hyn unnd ab sin.7 Also das sy ye eyner von dem anndern eerben unnd die guͤttere von eym an den annderen fallen söllen unnd mögend
wie anndere guͤttere, so lanng fründ nammens unnd stammens vorhannden sind. Doch das sy allwëg die rëchte thuͤgind, so den chorherrenOrganisation: von den guͤtteren zuͦhörrind. Unnd soll man söllich rëchtung allwëg inn die ferggungen vergryffen, damit
sy inn gedächtnüß belybind unnd nyemand betrogen werde.8 Deßglychen die chorherrenOrganisation: sunst by allen iren rëchtungen unnd deß rodels artigklen belyben, denen ouch die besitzere der hofguͤtteren unnd pfruͦndleehen gelëben unnd gewärttig sin.
Derglychen söllend die chorherrenOrganisation: ouch thuͦn unnd gëgen den biderben leehen- ald hoflüthen erstatten, das inen der rodel uffleyt, allerdingen on gefärde.
Inn urkund diß brieffs, den wir obgemëlten herren von der stifftOrganisation: , mit unnser
statt angehengktem secret insigel verwaret, uff ir begër zuͦ urkund gëben hand, deß nëchsten sampßtags nach unnser lieben frowen tag irer hymelfart nach Cristi gepurt gezelt tusent fünffhundert unnd im achtunddryßigesten jarOriginaldatierung: 17.8.1538.
[Unterschrift:] Wernnher BygelPerson: ,
stattschryber Zürich
[fol. v]Seitenumbruch
[Vermerk auf der Rückseite von :]
Ein urteil, das der stiftOrganisation: lechen vertigung und der hußgenossen dienst
gegem gstift und chorherrenOrganisation: beschehen soͤllen nach lut des rodels,
doch sol der artikel des widerfals halb, das man die guͤter nit
über das ander glid erben soͤlle, hin und ab sin etcAbkürzung.
[Vermerk auf der Rückseite von :]
Copiert: tomtomus A, fol. 468.9

Anmerkungen

    1. SSRQ ZH NF II/11 24-1, betreffend das Fertigungsrecht vgl. Art. 20.
    2. Vgl. SSRQ ZH NF II/11 24-1, Art. 49.
    3. Zur Abtretung der Rechte des GrossmünsterstiftsOrganisation: , unter anderem in FlunternOrt: , an ZürichOrt: vgl. SSRQ ZH NF II/11 53-1, zu den Rechten, die sich das StiftOrganisation: vorbehielt vgl. den dortigen Kommentar.
    4. Auch die Gemeinde WipkingenOrt: Organisation: verwies in anderem Zusammenhang 1533Datum: 1533 auf die veränderten Verhältnisse nach der Reformation. Sie beanspruchte die Einkünfte der dortigen Kapelle für sich (StAZH G I 147, fol. 15v, Eintrag 2; StAZH G I 147, fol. 15v-16r; StAZH C II 1, Nr. 857).
    5. Vergleichbare Redewendung bei Wander 1867-1880, Beiten.
    6. In späterer Zeit musste das StiftOrganisation: das Recht auf Fertigung bei Handänderung seiner Erblehen vor den Übergriffen der Landschreiber (SSRQ ZH NF II/11 144-1) und der Obervögte (StAZH G I 42, S. 33-34) verteidigen.
    7. Vgl. den letzten Artikel in der Offnung von FlunternOrt: (SSRQ ZH NF II/11 24-1).
    8. Die wohl bald darauf entstandene Ordnung des StiftsOrganisation: zuhanden ihrer Lehenleute in FlunternOrt: und Sankt LeonhardOrt: hält die Bedingungen bei Verkauf von Stiftslehengütern sowie das Recht des StiftsOrganisation: auf Fertigung, Dienste und den Fall ebenfalls fest (SSRQ ZH NF II/11 72-1).
    9. Abschrift im Stiftsprotokoll von 1648Datum: 1648 (StAZH G I 32, S. 468-475).