check_box zoom_in zoom_out
SSRQ ZH NF I/1/11 11-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Erste Reihe: Stadt und Territorialstaat Zürich. Band 11: Gedruckte Mandate für Stadt und/oder Landschaft Zürich, von Sandra Reisinger

Zitation: SSRQ ZH NF I/1/11 11-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Mandat der Stadt Zürich betreffend Einführung eines Buss- und Bittgottesdienstes jeden Dienstag

1571 September 19.

Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich verordnen die Einführung eines wöchentlichen Buss- und Bittgottesdienstes. Zunächst wird auf frühere Mandate hingewiesen, die nur unzureichend eingehalten worden seien und deswegen den göttlichen Zorn hervorgerufen hätten. Dies äussere sich in Krieg, Armut, Missernten und vor allem in der Teuerung. Aus diesem Grund soll der neu eingeführte Gottesdienst zur Verbesserung der Situation beitragen. Verordnet wird, dass in allen Kirchen der Stadt und Landschaft jeden Dienstagmorgen ein einstündiger Gottesdienst mit anschliessendem Gebet (welches im zweiten Teil abgedruckt ist) abgehalten werden soll. Pro Haushalt muss mindestens eine Person teilnehmen. Verkaufstätigkeiten sind während des Gottesdienstes verboten.

Zwischen 1529 und 1585 erfolgte ein Bevölkerungswachstum von fast 50 Prozent. Hinzu kam, dass die Bodenpreise stark stiegen, während die Löhne stagnierten. Die sich seit Mitte des 16. Jahrhunderts verschärfende Armut wurde durch die etwa ab 1570 stattfindende Verschlechterung des Klimas (HLS, Kleine Eiszeit) noch verstärkt. Missernten, kalte Winter und die steigende Teuerung führten zu einer generellen Verschärfung der Situation. Die Obrigkeit versuchte die Teuerung mit der Regulierung des Getreidepreises zu begrenzen, was aber wenig Erfolg hatte. Die mit der Krise einhergehenden Spekulationen liessen sich ebenfalls nicht bremsen (Stucki 1996, S. 226-228).

Heinrich BullingerPerson: schlug am 5. September 1571 dem ZürcherOrt: RatOrganisation: die Einführung eines speziellen Gottesdiensts mit Buss- und Bittgebet vor, um die Krise abzuschwächen. Zwei Wochen später wurde der Vorschlag im vorliegenden Mandat umgesetzt und zusammen mit dem von BullingerPerson: verfassten Gebet im Anhang gedruckt. Am 25. September 1571 wurde dann der Dienstagsgottesdienst zum ersten Mal abgehalten und blieb im GrossmünsterOrganisation: bis ins Jahr 1841 Bestandteil der Gottesdienstpraxis (Schaufelberger 1920, S. 21-22). Der Erfolg des 1571 eingeführten Dienstagsgottesdiensts war aufgrund der geringen Beteiligung jedoch bescheiden (Bächtold 1999, S. 20-24). Während im vorliegenden Mandat religiöse Massnahmen als Mittel zur Armutsbekämpfung aufgezählt werden, finden sich in der knapp ein Jahr später erlassenen Almosenordnung vor allem Vorschriften bezüglich Alkoholkonsum, Verschwendung, Wirtshausbesuchen und Sonntagsheiligung (SSRQ ZH NF I/1/11 12-1).

Editionstext

Wir Burgermeister unnd Radt der Statt ZürychOrt: Organisation: / Embietend allen / und yeden unseren Burgeren / Underthonen / Zuͦgehoͤrigen und verwandten / in unseren Stetten / Graaffschafften / Herrschafften / Landen / Gerichten und Gebieten wonhafft / und gesaͤssen / Unseren günstigen geneigten willen / und alles guͦts zuͦvor. Und fuͤgend üch / sampt und sonders hiemit zuͦvernemmen. Wiewol wir die vergangnen Jar har von Oberkeits / unnd unser schuldigen pflichten waͤgen / ouch sonderlichen üch und uns allen / sampt und sonders zuͦ mererem wolstand / nutz und guͦtem / mermalen angesaͤhen und gebotten / Daß sich mengklicher aller lasteren unnd unordnungen / Unnd insonderheit aber deß Fluͦchens / Schweerens / und Gottslesterens / Deßglychen deß betruglichen wuͦchers / ouch ungebürlichen kouffens unnd verkouffens / Item deß Spilens / Zuͦtrinckens / und überflüssigen zeerens. Der hoffart / Die zerhouwnen hosen zetragen. Deß tantzens. Und daß ouch ein yeder sine Kinder zuͦ aller zucht / frommkeit und Eerbarkeit / und mit namen dahin zühe / daß sy nachts by guͦter zyt im huß sygend / und niemants wyter / weder mit schryen / noch anderen dingen beleidigen / verhuͤten / und also sinen handel / wandel und waͤsen / besseren / und dermassen fuͤren / unnd bruchen sölle / daß yemants von unnd ab ime / oder den seinen kein klag haben / oder fürwenden koͤnne / oder moͤge / Alles by darumb ufgesetzter straaff und buͦß / so unser Mandat1 / die wir hierüber vilmalen ußgon / unnd in unser Statt und Landtschafft offentlich verkünden lassen / gar heiter vermelden und anzeigen / etcAbkürzung
So befindend unnd gespürend wir doch taͤglichWiederholte Zeitspanne: 1 Tag und ougenschynlich / daß soͤlichen unseren Gebotten / Mandaten und Christenlichem ansaͤhen von üch dem meererntheil nit gelaͤbt ald nachkommen. Sonder in vil unnd mancherley wyß unnd waͤg gestracks darwider gehandlet wirt. Ab welichem wir fürwar (und ouch nit unbillich) ein groß beduren / mißfallen / und beschwerd empfangen. Und hettend wol vermeint / soͤliches alles were von üch baß bedacht unnd betrachtet worden. So aber das (wie oben ermeldet) nit beschaͤhen. Unnd wir ye deß willens sind / nachmalen by unseren Mandaten / wie die daoben von einem an das ander benempt sind / styff und vestygklich zuͦbelyben. So woͤllend wir die selben alle in gemein / und ouch yedes insonders hiemit widerumb ernüweret / und mengklichem by der buͦß / so vorhar daruff gesetzt / gebotten haben. Daß üwer yegkli[fol. 1v]Seitenumbruchcher dem selben / in allwaͤg gelaͤbe / one verhinderung statt thuͤye / unnd darwider nützid werbe noch handle. Mit heiterer anzeigung / daß etlich unser hierzuͦ verordnete haruf / ir spaͤch unnd kundtschafft machen / unnd die übertraͤtter yeder zyt nach irem beschulden und verdienen / one alle nachlaß darumb straaffen werdend.
Und als dann yetz etwas Jaren in der Christenheit vil schwerer kriegen gefuͤrt / damit vil bluͦts vergossen unnd vil armer lüten gemacht / ouch hienebend alles das / deß der Mensch gelaͤben sol unnd muͦß / ye lenger ye mer aufgeschlagen / und sonderlich erst diß Jars / die Frücht von waͤgen deß ungwitters / so vilfaltig darinn geregiert / und daß zuͦ abgang unnd verderben gericht / in ein soͤliche grosse und schwaͤre thüre kon.2 Daß vor haͤr nie erhoͤrt / oder yemants darvon reden / oder sagen kan. Darumb dann die armuͦt / sampt den armen / sich taͤglich und erbermcklich meeret / und dermassen dahin kommen / daß alle Christen menschen soͤliches billich bedencken / zuͦ hertzen fuͤren unnd nachtrachtung haben. Wie unnd welicher maassen Gott der allmaͤchtig (uß desse zorn unnd grossen ungnaden / darinn wir / leider / gegen imme stond / soͤliches ervolget / und wir mit unseren grossen sünden / umb inne vilfaltig verdiennt) anzuͦruͤffen / unnd umb nachlaß sines zorns / und unseren grossen sünden / widerumb zuͦ erbitten syge. Deßhalben wir dann zuͦ fürderung deß selben / unnd wyterer verhuͤtung Goͤttlichs zorns / und künfftigen übels uß unseren ampts pflichten / ouch vaͤtterlicher trüw unnd anmuͦt in dem Nammen Gottes / unnd zuͦ heil und wolstand üch und uns gesetzt und geordnet.
Daß namlich hinfür / biß uff unser verenderung nach gelegenheit der zyten unnd nodturfft / in unser Statt unnd Landtschafft / in allen Kylchen / da man an dem SonntagWiederholte Zeitspanne: 1 Woche prediget / alle ZinstagWiederholte Zeitspanne: 3 Wochen uff ein stundZeitspanne: 1 Stunde. Mit nammen zuͦ SummersZeitspanne: Sommer zyt morgensZeitspanne: morgens von der sechßten biß umb die sibendZeitspanne: von 6:00 bis 7:00 / unnd WintersZeitspanne: Winter zyt von der sibenden biß uff die achtend stundZeitspanne: von 7:00 bis 8:00 / ein Christenliche und hierzuͦ tougenliche Predig gehalten / und zuͦ end der Predig von allen Christgloͤubigen ein allgemein gebaͤtt (so in ordnung / und den Predicanten hienebend / wie dann hernach begriffen wirt / der meinung / soͤliches dem Gemeinen mann offenlich vorzebaͤtten / zuͦgestelt) gethon / und ouch zuͦ soͤlichen ZinstagWiederholte Zeitspanne: 3 Wochen predigen allenthalben gelütet werden / wie sonst an yedem ort am SonntagWiederholte Zeitspanne: 1 Woche beschicht unnd brüchlich ist. Es soͤllend ouch die selbig zyt / unnd besonders von der zyt an / daß das ander zeichen verlütet ist / biß soͤliche Predigen und das allgemein gebaͤtt vollendet sind / in unser Statt ZürychOrt: alle kram / und andere Laͤden / be[fol. 2r]Seitenumbruchschlossen belyben / und man darvor keine ufthuͦn / Damit yemants deßhalben von der Kylchen und dem Gebaͤtt zogen werde. Wir gebietend unnd vermanend üch ouch hiemit ernstlich / daß zuͦ soͤlicher unnd sonst allen anderen Predigen / das gemein volck / rych und arm alles / so vil die komlichheiten der hußhalten erlyden moͤgen / oder doch uß yedem huß zum wenigisten einMenge: 1 Person gewüßlich verfuͤgen / und deren mit allem flyß und ernst zuͦlosen / und sich als Christenlüten gebürt und zuͦstadt / erzeigen und halten soͤllind.
Im vertruwen / so wir alle gemeinlich und sonderlich / wie diß unser Christenlich Mandat / ouch das waͤsen unsers laͤbens zum hoͤchsten vervorderet / uns in erkanntnuß und rüwen unserer grossen unnd vilfaltigen sünden begaͤbind / darvon abstandind / uns aller Gottsforcht / Grechtigkeit / Maͤssigkeit / Erbarkeit unnd Frommkeit beflyssind. Gott den Allmaͤchtigen / daß er uns sin genaad unnd saͤgen hierzuͦ verlyhe / unnd uns unser übertraͤtten nach siner unußsprechlichen barmhertzigkeit verzyhe / von grund unsers hertzens bittind: Er unser Herr und Gott werde sinen gerechten unnd erschrockenlichen zorn / so er uns mit gegenwürtiger schweren thüry fürbildet / und wol under die ougen stelt / widerumb ablassen / Sin heilig angesicht wider zuͦ uns wenden / uns nit allein die thürung / sonder alle andere beschwernussen lychteren / oder gar abnemmen / unnd uns vermoͤg siner trostlichen verheissungen yederzyt gnedig und barmertzig syn.

[fol. 2v]Seitenumbruch

[...]Editorisch irrelevant3

[fol. 3r]Seitenumbruch

Gaͤben zuͦ ZuͤrychAusstellungsort: / uff Mittwochen den nünzehenden tag Herbstmonats. Nach der geburt Christi unsers heilands / tusend fünffhundert sibentzig und ein JarOriginaldatierung: 19.9.1571.
[fol. 3v]Seitenumbruch

Anmerkungen

    1. Möglicherweise handelt es sich um das Grosse Mandat von 1550Datum: 1550 (SSRQ ZH NF I/1/11 10-1).
    2. Hier wird auf die Teuerung des Jahres 1571Datum: 1571 verwiesen, die sich infolge des kalten Winters 1570/1571Datum: November 1570 – Februar 1571 und Missernten ergab (Bächtold 1982, S. 255).
    3. Es folgt das zweiseitige Gebet, welches die Pfarrer nach der Dienstagspredigt vorsprechen sollten (Edition: Zürcher Kirchenordnungen, Bd. 1, Nr. 167).