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SSRQ ZH NF I/1/11 88-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Erste Reihe: Stadt und Territorialstaat Zürich. Band 11: Gedruckte Mandate für Stadt und/oder Landschaft Zürich, von Sandra Reisinger

Zitation: SSRQ ZH NF I/1/11 88-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Mandat der Stadt Zürich betreffend Hebammen auf der Landschaft

1782 Dezember 23.

Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich erlassen aufgrund des mangelhaften Zustands des Hebammenwesens auf der Landschaft ein Mandat mit sechs Artikeln. Zunächst wird verordnet, dass alle Hebammen in den Dörfern der Landschaft durch den Ersten Stadtarzt geprüft und bestätigt werden müssen (1). Falls es in einer Gemeinde zu alte oder unvermögende Hebammen gibt oder die Gemeinde zu gross ist, sollen Hilfshebammen (Spetthebammen) stellvertretend gemäss dem ordentlichen Wahlverfahren durch die Weibergemeinde oder den Stillstand eingesetzt werden. Um die Kenntnisse und Praxiserfahrung der Hilfshebammen zu verbessern, sollen sie durch einen Hebammenmeister, Arzt oder Wundarzt unterrichtet werden sowie den ordentlichen Hebammen bei Geburten helfend zur Seite stehen (2, 4). Weiterhin gilt, dass gebärende Frauen zwar in der Wahl ihrer Hebamme freistehen, aber der eigentlich zuständigen Hebamme trotzdem den vollen Lohn bezahlen müssen (3). Falls eine Hebamme widernatürliche Umstände wahrnimmt, soll sie sich unverzüglich an einen Arzt oder Wundarzt wenden (5). Schliesslich werden die Hebammen aufgefordert, auf unehelich Schwangere Acht zu geben und Verdachtsfälle dem Dorfpfarrer anzuzeigen, der sich danach an die Obrigkeit wenden muss (6). Zuletzt wird verordnet, dass die Handhabung des Mandats den Obervögten und Landvögten obliegt sowie dass alle Pfarrer und Mitglieder des Stillstandes gegenüber möglichem Fehlverhalten wachsam sein sollen.

Die älteste Hebammenordnung ZürichsOrt: datiert von 1536 (Ordnung: SSRQ ZH NF I/1/3 164-1; Eid: SSRQ ZH NF I/1/3 162-1), worin jedoch noch keine Angaben zu Art der Wahl und Ausbildung der Hebammen aufgeführt sind. 1554 fand der erste offizielle, durch Ärzte durchgeführte Unterricht statt und im selben Jahr brachte Jakob RufPerson: das Hebammenlehrbuch «Trostbüchlein» heraus. Im Laufe des 17. Jahrhunderts wurden schrittweise Prüfungen und schliesslich mit dem Erlass von 1697 die Examinationspflicht für Hebammen eingeführt (StAZH H II 23). In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begannen vermehrt die Stadtärzte die Landhebammen freiwillig und kostenlos zu unterrichten.

Im Jahre 1774 kam es aufgrund eines unglücklichen Geburtsfalls auf der Landschaft zu einem Reformversuch des Hebammenwesens. So verfassten die Hebammenverordneten am 9. März 1774 ein Gutachten, worin neu die sogenannte Weibergemeinde jedes Dorfes eine Hilfshebamme («Spetthebamme») wählen sollte, die dann während vier Monaten kostenlos in ZürichOrt: unterrichtet werden musste (StAZH H II 23). Danach sollte die Hilfshebamme durch den Stadtarzt geprüft und bestätigt werden, sodass sie ohne weitere Wahl eine frei werdende Stelle als Dorfhebamme antreten konnte. Indem die Weibergemeinde mit diesem Vorschlag nun nur noch für die Wahl der Hilfshebamme zuständig war, verlor sie ihre Kompetenz zur Hebammenwahl. Ausserdem wurde erstmals der Beruf bzw. das Amt der Dorfhebamme an den männlichen Geburtshelfer gekoppelt, was kurze Zeit später in der Landschärerordnung definitiv festgelegt wurde (StAZH III AAb 1.14, Nr. 43). Im Anschluss an die Besprechung des Gutachtens verordnete der RatOrganisation: , dass die Reformen zunächst probeweise in Kraft gesetzt werden sollten (StAZH B II 964, S. 210-212). Erst acht Jahre später, nämlich am 26. November 1782, erfolgte eine stark bereinigte Fassung des Gutachtens (StAZH H II 23). Schliesslich wurde das Gutachten am 23. Dezember 1782 vom RatOrganisation: bestätigt und der Druck des vorliegenden Mandats verordnet (StAZH B II 998, S. 117). Gemäss einer Notiz auf dem handschriftlichen Entwurf betrug die Auflage 500 Exemplare (StAZH H II 23).

Wie auch im Gutachten von 1774 waren die Hilfshebammen als Nachfolgerinnen bei vakanten Hebammenstellen vorgesehen. Neu im vorliegenden Mandat war allerdings, dass sich die Hebammen verpflichteten, die Hilfshebammen zu Übungszwecken zu Geburten mitzunehmen. Ausserdem war nun nur noch eine Hebamme für die Geburten ihres Bezirkes zuständig. Gebärenden Frauen war es zwar grundsätzlich noch erlaubt, eine andere Hebamme beizuziehen, aber sie mussten die vorgesehene Hebamme trotzdem entlohnen. Mit diesem Monopolanspruch stärkte sich die Position der Hebamme gegenüber Konkurrentinnen aus anderen Dörfern. Allerdings verlor die Hebamme mit dem vorliegenden Mandat grundsätzlich an Kompetenzen, da sie einer männlichen Ausbildungsinstanz unterstellt war und nur noch natürliche, komplikationsfreie Geburten leiten durfte. Mit der Anzeigepflicht der Hebammen über unehelich schwangere Frauen sicherte sich die Obrigkeit zudem einen verstärkten kontrollierenden Zugriff auf die Frauen auf der Landschaft. Laut Agnes Hollenweger stellt das vorliegende Mandat damit eine tiefgreifende Zäsur im ZürcherOrt: Hebammenwesen dar (Hollenweger 1987, S. 111).

Bereits im Jahr 1784 wurde im 1782 errichteten medizinisch-chirurgischen InstitutOrganisation: ein Seminar für die Ausbildung von Landärzten und Hebammen eingerichtet. Ausserdem publizierte der Arzt und Hebammenlehrer Hans Caspar HirzelPerson: 1784 ein Hebammenlehrbuch, welches einen weiteren Schritt in Richtung einer stadtärztlich kontrollierten, zentralisierten und einheitlichen Unterweisung der Geburtshilfe darstellt.

Zur Geschichte des Hebammenwesens in ZürichOrt: vgl. HLS, Hirzel, Hans Caspar; HLS, Hebammen; HLS, Ruf, Jakob; Hollenweger 1987; Steiger 1964, S. 253-256.

Editionstext


Wir Burgermeister und Rath der Stadt ZuͤrichOrt: Organisation: ,
entbieten allen und jeden Unseren Angehoͤrigen auf der Landschaft, Unsern guͤnstigen Gruß, geneigten Willen und alles Guts zuvor, und dabey zu vernehmen: Demnach Wir
mit Bedauren haben erfahren muͤssen, in welchem schlimmen und bedenklichen Zustande das Hebammen-Wesen auf
Unserer Landschaft durchgaͤngig sich befindet, maassen in vielen Gemeinden die vorhandenen bestellten Hebammen
nicht gebraucht werden, und in andern gar keine vorhanden sind, uͤberhaupt aber durch die dießfalls herrschende
Unwissenheit und ungeschickte Behandlung, sowohl fuͤr Muͤtter als Kinder grosser Nachtheil und Schaden erwachset,
so haben Wir aus Landesvaͤterlicher Fuͤrsorge fuͤr die allgemeine Wohlfarth Unserer LLieben Angehoͤrigen, und damit diesem landesverderblichen Unfall gesteuret werde, nothwendig befunden, vermittelst gegenwaͤrtigem Hoch-Obrigkeitlichen Mandat, Unsere ernstliche Willensmeynung hieruͤber oͤffentlich bekannt zu machen, und in allen Kirchen auf der
Landschaft publiciren zu lassen, daß

1.) In allen Gemeinden und Hauptdoͤrfern auf Unserer Landschaft, bestellte Hebammen geordnet werden, und keine derselben diesen Beruff ausuͤben
moͤge, sie habe dann zuvor um ihre dießfaͤllige Wissenschaft und Faͤhigkeit, allhier bey dem jeweiligen vordersten Herrn Stadtarzt sich pruͤffen lassen, und
dazu die Erlaubniß und Bestaͤtigung erhalten.

2.) Daß in denjenigen Gemeinden und Doͤrfern, wo die bestellte Hebammen entweder alt und unvermoͤgend, oder aber die Gemeinden allzuweitlaͤufig
sind, Spetthebammen, nach jeden Orts Gewohnheit, es seye durch Weiber-Gemeinden oder StillstaͤndeOrganisation: , auf gleiche Art, wie die bestellten, erwaͤhlt werden,
und diese pflichtig seyn sollen, entweder allhier in der Stadt, oder aber im Fall weiter Entlegenheit, mit Vorwissen des hiesigen Herrn Ober-Stadt-Arzts,
bey einem auf der Landschaft wohnhaften, und allhier uͤber eben diese Kunst examinirten Hebammen-Meister, Arzt oder Wund-Arzt, sich darinn unterweisen zu lassen; in der Meynung, daß eine solche angenommene Spett-Hebamme, auf Abgang der bestellten, schon zum voraus an derselben Statt erwaͤhlt
seyn solle.

3.) Daß die bestellte Hebamme zu allen in ihrem Gemeindsbezirk vorfallenden Geburten beruffen werde jedoch der Kraisenden ohnbenommen seye, wann
sie zu einer andern Hebamme mehreres Zutrauen haͤtte, solche beruffen zu lassen, in welchem Fall aber der Hebamme des Orts der Lohn gleichergestalt entrichtet werden solle, als wann sie allein zugegen gewesen waͤre.

4.) Und damit vorbedeutete Spett-Hebammen in der Kunst desto besser geuͤbet werden, sollen sie, so oft es die Umstaͤnde und ihre Geschaͤfte erlauben,
bey den vorfallenden Geburten, neben der bestellten Hebamme zugegen seyn, und ihro nach Nothdurft an die Hand gehen.

5.) Wird allen und jeden Hebammen zur unabweichlichen Pflicht gelegt, in denen Faͤllen, wo sie widernatuͤrliche Umstaͤnde wahrnehmen, der Sache
keinen Anstand zu geben, sondern ohne einigen Verzug, sich an einen naͤchstbekannten, dieser Kunst verstaͤndigen und allhier darinn examinirten Arzt oder
Wundarzt zu wenden, und sich dessen Raths und Hilfe zu bedienen. Und endlich

6.) sollen alle und jede Hebammen, auf unverehlichte Weibspersonen, uͤber den Schwangerschafts-Punct, ein sorgfaͤltiges Augenmerk richten, und
wofern sie etwas Verdaͤchtiges entdeckten, solches in der Stille dem Herrn Pfarrer des Orts anzeigen, damit von daher die Sache zeitlich an Behoͤrde, mit
Klugheit gelaidet werden koͤnne.

Gleichwie Wir nun Einerseits die Handhabung dieser Unserer ernstlichen Willensmeynung allen Herren Ober- und Landvoͤgten, dagegen aber allen Herren Seelsorgern und Stillstaͤndern die genauste Wachsamkeit auftragen, so versehen Wir Uns Anderseits zu Jedermaͤnniglich, daß in einer so heilsamen und
einig auf die Wohlfarth Unser LLieben Angehoͤrigen abzweckenden Sache, aller willige, schuldige und unausgesetzte Gehorsam werde geleistet, und alle gegen Fehlbare unausweichliche Ahndung und Strafe vermieden werden. Geben Montag den 23. Christmonat 1782Originaldatierung: 23.12.1782.
Canzley der Stadt ZuͤrichOrt: Organisation: .
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