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SSRQ ZH NF I/1/11 96-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Erste Reihe: Stadt und Territorialstaat Zürich. Band 11: Gedruckte Mandate für Stadt und/oder Landschaft Zürich, von Sandra Reisinger

Zitation: SSRQ ZH NF I/1/11 96-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Verordnung der Stadt Zürich betreffend Aufenthalt, Arbeit und Aufenthaltsbewilligungen von Hintersassen

1794 März 29.

Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich erlassen eine erneuerte Verordnung betreffend Hintersassen mit sechs Artikeln. Zunächst wird verordnet, dass alle fremden Künstler und Geschäftsdiener (Commis), die sich in der Stadt aufhalten, aber nicht bei ihrem Dienstherrn wohnen, von der Hintersassenkommission eine Aufenthaltsbewilligung erhalten und alle Abgaben bezahlen müssen. Diejenigen Personen, die bei ihrem Dienstherrn wohnen, benötigen keine Bewilligung, müssen ihre Namen aber trotzdem der Kommission melden (1). Fremde Geschäftsdiener, die sich mit ihrem gesamten Haushalt und ihrer Familie in der Stadt aufhalten, sollen bei der Obrigkeit einen förmlichen Bürgerrechtsschein beantragen und diesen bei der Hintersassenkommission deponieren. Falls der Schein nicht erhältlich ist, soll das Handelshaus, in dem die Person angestellt ist, zwei Bürgen stellen sowie eine schriftliche Kaution hinterlegen. Zu einer Familie zählen nur die unverheirateten Kinder. Bei einem Aufenthalt, der länger als ein Jahr dauert, sollen die Handlungsreisenden eine nochmalige Bewilligung bei der Obrigkeit ersuchen und die Kautionsscheine erneuern (2). Alle fremden Geschäftsdiener und Fabrikarbeiter, die als Hintersassen gemeldet sind, müssen in der Stadt wohnen und dies der Kommission melden. Dienstherren von Handelshäusern ist es gestattet, fremde Fabrikarbeiter auf das Land zu schicken. Dazu müssen allen betroffenen Obervogteien und Landvogteien der Vorname und Familienname des Arbeiters sowie die zugeteilte Gemeinde mitgeteilt werden (3). Studenten, junge Kostgänger und Lehrlinge, die sich bei einem Bürger aufhalten, sollen der Kommission ihren Namen, Alter, Geburtsort und ihre Beschäftigung mitteilen (4). Für Taglöhner und Gewerbeleute, die nur eine Stunde von der Stadt Zürich entfernt wohnen, gilt, dass sie jeden Tag nach Hause gehen müssen. Bei einer Entfernung von zwei bis drei Stunden muss die Rückkehr jeden Samstag erfolgen. Nur diejenigen Personen, die weiter weg wohnen, sollen von der Kommission eine Aufenthaltsbewilligung erhalten (5). Schliesslich wird verordnet, dass fremde Handwerkergesellen zwar keine Bewilligung benötigen, aber in einem Verzeichnis ihrer Meister aufgeführt werden müssen (6). Zuletzt werden alle Bürger, Witwen und Frauen mit eigenen Haushalten ermahnt, keine Hintersassen ohne obrigkeitliche Bewilligung aufzunehmen. Falls die Meldung von unbewilligten Hintersassen nicht innerhalb einer Woche nach Publikation der vorliegenden Verordnung geschieht, werden die entsprechenden Personen bestraft.

Als Hintersassen galten in ZürichOrt: diejenigen Personen, die zwar eine Aufenthaltsbewilligung, aber keine politischen sowie eingeschränkte wirtschaftliche Rechte besassen. Obwohl deren Zahl im 18. Jahrhundert nur zwischen 5 bis 10 Prozent der Gesamtbevölkerung betrug, wurden die Hintersassen von den ZürcherOrt: Bürgern als wirtschaftliche und politische Konkurrenz angesehen. Aus diesem Grund erfolgten seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zunehmende Einschränkungen zur Erlangung der Niederlassungsbewilligung als Hintersasse, was im Zusammenhang mit den stärkeren Abschliessungstendenzen der ZürcherOrt: Bürgerschaft steht (vgl. zum Bürgerrecht die Erläuterungen zur Verordnung betreffend Bürgerrechtserneuerungen von 1759: SSRQ ZH NF I/1/11, Nr. 59).

Im Jahre 1591 erfolgte eine Neuregelung der Aufnahmebedingungen von Hintersassen. Neben der Bezahlung einer Hintersassensteuer, des Schirmgeldes und des Wachtgeldes war es nun Pflicht, zwei Bürgen zu stellen. Ausserdem mussten sich alle Hintersassen der Gesellschaft zur KonstaffelOrganisation: anschliessen, ohne jedoch politische Rechte ausüben zu dürfen. Vorgewiesen werden mussten zudem ein Unbescholtenheitszeugnis (Mannrechtsbrief) und eine Bestätigung der Heimatgemeinde, dass diese im Armutsfall für die Kinder der Hintersassen aufkommen würde.

1612 wurde die HintersassenkommissionOrganisation: mit anfänglich vier Mitgliedern eingesetzt, woraus sich 1718 eine ständige Kommission entwickelte. Die Kommission war für die Aufnahme neuer Hintersassen, für die Ausarbeitung von Mandaten und für die Kontrolle bewilligter und unbewilligter Hintersassen in der Stadt zuständig. Im 16. bis 18. Jahrhundert kam es zwar periodisch zu mehrjährigen Aufnahmestopps, aber insbesondere im 18. Jahrhundert war der wirtschaftliche Bedarf an Arbeitskräften hoch. Da es den Hintersassen untersagt war, ein zünftisches Handwerk auszuüben, betätigten sie sich in wenigen, nicht ertragreichen Wirtschaftszweigen als Gesellen, Angestellte, Arbeiter, Handlanger und Taglöhner. Aus dem Ausland stammende Hintersassen waren zudem häufig als Privatlehrer für Fremdsprachen, Musik, Tanzen oder Fechten tätig. Die weit grössere Bevölkerungsgruppe machten in Zürich im 18. Jahrhundert die Aufenthalter oder Gäste (mehrheitlich Dienstboten) aus, die zwar über keine Aufenthaltsbewilligung verfügten, aber bei der HintersassenkommissionOrganisation: registriert sein mussten.

Aufgrund der steigenden Anzahl der Hintersassen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde im Jahre 1784 die Neuaufnahme von Hintersassen für zehn Jahre verboten. Bereits 1788 liess der RatOrganisation: wieder neue Hintersassen zu, wobei die Zahl der Bewilligungen auf 300 begrenzt war und alle sechs Jahre eine Kontrolle durchgeführt werden musste. 1789 wurde die HintersassenkommissionOrganisation: vom RatOrganisation: beauftragt, ein Gutachten zu den Hintersassen in der Stadt sowie zu fremden Handwerksgesellen, Studenten, Profosen, Künstlern und Geschäftsdienern (Commis) zu erstellen. Der RatOrganisation: bestätigte die Vorschläge am 18. März 1789 und erliess eine Verordnung, worin aufgeführt wurde, welche Personengruppen eine obrigkeitliche Bewilligung der HintersassenkommissionOrganisation: benötigten und welche Abgaben sie zu bezahlen hatten. Grundsätzlich galt, dass diejenigen Personen, die sich mit Haushalt und Familie in der Stadt aufhielten, bewilligungspflichtig waren. Studenten, junge Kostgänger, Lehrknaben, fremde Handwerksgesellen und Tagelöhner, die maximal drei Stunden von der Stadt entfernt wohnten, wurden zwar geduldet, aber nicht als Hintersassen zugelassen. Für die Neubewilligung von Hintersassen galt weiterhin ein Kontingent von 300 Personen. Schliesslich beschloss der RatOrganisation: in der Verordnung vom 18. März 1789, dass Gastwirte, die ankommende Fremde bewirteten, diese bei der HintersassenkommissionOrganisation: unverzüglich melden mussten (StAZH B II 1024, S. 130-135).

Trotz der Bestimmungen von 1789 kam es in der Ratssitzung vom 8. März 1794 zu Klagen wegen der steigenden Anzahl der nicht bewilligten Fremden auf zürcherischem Gebiet. Daher wurde die HintersassenkommissionOrganisation: erneut beauftragt, ein Gutachten zu erstellen (StAZH B II 1044, S. 151-152). Dieses lag am 25. März 1794 vor und sah die Ausarbeitung eines Mandats basierend auf den Bestimmungen von 1789 vor. Ausserdem wurden Gründe für und gegen die Bewilligung der fremden Arbeiter in zürcherischen Geschäften und Handelshäusern aufgeführt. Dafür sprachen hauptsächlich wirtschaftliche Gründe. Hingegen befürchtete die Kommission, dass die fremden Personen schon an einem anderen Ort ein Bürgerrecht besässen. Auch bestände die Gefahr, dass Personen insbesondere aus FrankreichOrt: fremde Sitten und unerwünschte Lebensarten mit sich bringen würden. Ausserdem würden potentielle Armutsfälle das städtische AlmosenamtOrganisation: oder die Arbeitgeber belasten. Im Gutachten wurden schliesslich auch Vorschläge gemacht, wie die Obrigkeit mit fremden Geschäftsdienern und Fabrikarbeitern, die sich auf der Landschaft als Kostgänger aufhielten, sowie mit fremden Personen, die sich mit der gesamten Familie und Haushalt auf der Landschaft niederlassen wollten, umgehen sollten (StAZH A 72.2). Das Gutachten wurde im RatOrganisation: am 26., 27. und 29. März 1794 ausführlich besprochen (StAZH B II 1044, S. 205-207, 210-211 und 215-215). Am 29. März wurde der Mandatsentwurf der HintersassenkommissionOrganisation: gutgeheissen (StAZH A 72.2) und der Druck des vorliegenden Mandats angeordnet.

Zu den Hintersassen in ZürichOrt: vgl. HLS, Hintersassen; Bock 2009, S. 203-206; Schellenberg 1951, S. 22-27 und 56; Guyer 1943, S. 81-83; Weisz 1938, S. 215-219.

Editionstext


Demnach Uns abseiten Unsrer verordneten Hintersaͤß-CommißionOrganisation:
die pflichtmaͤßige Anzeige gemacht worden, wie daß Unsre Anno 1789Datum: 1789
in ansehung der fremden und einheimischen in hiesiger Stadt sich aufhaltenden Hintersaͤssen, wohlmeinend gemachte Verordnungen1, bey
einem Theil Unsrer Lieben Verburgerten in gaͤnzliche Vergessenheit
verfallen zu seyn scheinen, so sind Wir aus dieser Ursache sowohl, als
aus andern wichtigen Ruͤcksichten bemuͤßiget worden, diese Unsre neuerdings bekraͤftigte, und nach Maaßgab der Zeitumstaͤnde eingerichtete
Verordnung zu wissenhafter Nachricht und Verhalt einer gesammten
LoblLoblichen Buͤrgerschaft durch den Druck bekannt zu machen.
In Folge derselben verordnen Wir:

1. Daß in Zukunft alle einzelne fremden Kuͤnstler und Commis, die um
ihres Gewinns und Verdiensts willen in der Stadt sich aufzuhalten gedenken, und nicht bey ihren Patronen logieren, von UGHUnseren Gnaͤdigen Hohen Herren, die
einheimischen aber von der Hintersaͤß-CommißionOrganisation: patentiert werden,
und die fremden so wie die einheimischen die bestimmten alljaͤhrlichen
Abgaben der Hintersaͤssen bezahlen sollen. Was aber die einzelnen
fremden Commis und Hauslehrer anbetrift, die bey ihren Patronen
einquartiert sind, und an Kost und Lohn stehen, sollen dieselben wie
bisanhin nicht patentiert werden, jedoch ihre Namen fuͤr einmal dem
Secretariat zu Handen der Commißion schriftlich eingeben.

2. Noch bleiben diejenigen Fremden uͤbrig, welche Haushaltungen bey
sich haben, und als Commis zur Arbeit in den Fabricken angestellt werden.
Diese sollen allerwegen um die Bewilligung des hiesigen Aufenthalts bey
UG HrrenAbkürzung den Raͤthen sich anmelden, und entweder einen foͤrmlichen Burgerrechtsschein, nebst den bisher gewohnten Buͤrgscheinen bey der Hintersaͤß-CommißionOrganisation: deponieren; oder falls solches unerhaͤltlich waͤre, so soll
das einen Commis dieser Art annehmende Handelshaus, nebst 2 darzustellenden Buͤrgen saͤmtlich und solidairementSchriftwechsel fuͤr den Unterhalt einer
solchen Haushaltung, sie logiere bey dem Patron oder in einem andern
Buͤrgerhaus, waͤhrend der ganzen Zeit des hiesigen Aufenthalts gut
stehen, und hierfuͤr eine bestimmte schriftliche Caution ausstellen, auch
unter einer Familie nur die in einer Haushaltung unverehlichet befind[fol. 1v]Seitenumbruchlichen Kinder verstanden seyn. Worbey annoch die bestimmte Meinung
waltet, daß nach JahresfristZeitspanne: 1 Jahr diese Commis, falls solche mit ihren
Haushaltungen einen laͤngeren Aufenthalt in hiesiger Stadt mit Consens ihrer Patronen zu erhalten wuͤnschten, die dießfaͤllige Bewilligung
bey UGHUnseren Gnaͤdigen Hohen Herren den Raͤthen aufs neue zu suchen gehalten seyn sollen,
und die oben bestimmten Cautionsscheine behoͤrigen Orts erneuert werden muͤßten.

3. Alle als Hintersaͤssen angenohmene fremde Commis und Fabrikarbeiter, einzelne sowol, als Hausvaͤter mit Haushaltungen, sollen
in hiesiger Stadt wohnen, und ihre Wohnung der Hintersaͤß-CommissionOrganisation: angezeigt werden; da dann aber dieses nicht hinderlich, sondern
gleichwohl bewilligt seyn solle, daß die Patronen von dergleichen fremden Fabrikanten sich derselben nach Umstaͤnden und Beduͤrfnissen zu
Einrichtung und Leitung der Arbeiten auch auf dem Land bedienen
moͤgen; mit dem Beding und Vorbehalt, daß diejenigen Handelshaͤuser, welche fremde Fabrickarbeiter anstellen, und dieselben in die
einte oder andre Gegend der Landschaft abzuordnen im Fall sind, den
resprespectiven Ober- und Landvogteyaͤmtern, deren Bezirk es betrift, den
Namen und Geschlecht des Fabrikanten, auch die Gemeinde, wohin
selbiger sich begiebt, ein vor allemal anzeigen sollen, damit die noͤthige
Aufsicht auf diese Leute veranstaltet werden koͤnne.

4. Die Studiosi, junge Kostgaͤnger und Lehrknaben betreffend, soll
ein jeder Burger, der dergleichen haͤlt, ihren Namen, Alter und
Geburtsort dem Secretarius der Commißion einzugeben, auch was
selbige lernen, anzuzeigen pflichtig seyn.

4.Korrigiert: 5.a Diejenigen Tagloͤhner und Gewerbsleuthe, die nur 1 StundeZeitspanne: 1 Stunde
weit von der Stadt wohnen, sollen alle Tage, welche aber 2Zeitspanne: 2 Stunden bis 3
Stunden
Zeitspanne: 3 Stunden
weit entfernt sind, alle SamstagWiederholte Zeitspanne: 7 Wochen heimgehen, und die, so
noch weiter entfernt waͤren, daß sie an einem SamstagWiederholte Zeitspanne: 7 Wochen nicht heimgehen koͤnnten, sollen von der Commißion patentiert werden. Endlich

6. Moͤgen landesfremde Handwerksgesellen wie bisdahin unpatentiert
in der Stadt verbleiben; jedoch sollen die Meister derselben immerhin
ein ordentliches Verzeichniß von ihnen fuͤhren, um damit auf Abforderung der Commißion in Bereitschaft zu seyn.
[fol. 2r]Seitenumbruch

In Kraft dieser Verordnung nun ist jedem Burger, Wittfrauen
oder Toͤchtern, so eigene Haushaltungen fuͤhren, bey Verantwortung
und Strafe zur Pflicht auferlegt, ausser den obangefuͤhrten Classen
von Leuten, die ohne Patent geduldet werden koͤnnen, keinen fremden
oder einheimischen Hintersaͤssen zu sich in ihr Haus und an ihre Kost
aufzunehmen, der nicht zuvor entweder von UGHUnseren Gnaͤdigen Hohen Herren, oder von der
Hintersaͤß-CommißionOrganisation: die Aufenthalts-Bewilligung erhalten habe.
Auch gehet der gemessene Befehl abseiten UGHUnsere Gnaͤdigen Hohen Hrren. an alle Verburgerte, die allenfalls dergleichen unpatentierte fremde oder einheimische Personen bey sich logieren, solches spaͤtestens innnert 8 TagenZeitspanne: 8 Tage nach der Publication gegenwaͤrtiger Verordnung, der Commißion anzuzeigen; widrigenfalls, und wenn gegen alle Erwartung, dieser Hochobrigkeitlichen
Aufforderung kein Genuͤgen geleistet wuͤrde, die Fehlbaren, sobald die
Verheelung an den Tag koͤmmt, von der Commißion ohne anders
zu gebuͤhrender Verantwortung und Strafe werden gezogen werden.

ActumSchriftwechsel Samstags den 29ten Merz 1794Originaldatierung: 29.3.1794.
Coram SenatuOrganisation: Schriftwechsel.
Canzley der Stadt ZuͤrichOrt: Organisation: .
[fol. 2v]Seitenumbruch

Anmerkungen

  1. Korrigiert: 5.
  1. Gemeint ist die Ratserkenntnis vom 18. März 1789 (StAZH B II 1024, S. 130-135).