check_box zoom_in zoom_out
SSRQ ZH NF I/1/3 20-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Erste Reihe: Stadt und Territorialstaat Zürich. Band 3: Stadt und Territorialstaat Zürich II (1460 bis Reformation), von Michael Schaffner

Zitation: SSRQ ZH NF I/1/3 20-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Verordnung der Stadt Zürich betreffend die Erfüllung von Amtspflichten durch die Chorherren des Grossmünsterstifts

1485 September 24.

Angesichts des unangemessenen Verhaltens von geistlichen und weltlichen Personen in der Chorherrenstube des Grossmünsters haben Bürgermeister und Räte der Stadt Zürich Abgeordnete ernannt, um Propst und Chorherren des Grossmünsters über die folgenden Anordnungen zu unterrichten: Die Chorherren haben täglich an den Messen teilzunehmen und den Gottesdienst zu unterstützen (1). In der Chorherrenstube und in den Häusern der Chorherren ist das Spielen mit Einsätzen um höhere Beträge als 1 Angster verboten, bei der Strafe von 1 Mark Silber (2). Chorherren und andere Priester, die in der Stadt Zürich verpfründet sind, haben beim Läuten der Vesper das Spielen einzustellen und sich in ihre Kirchen zu begeben. Der Stubenknecht soll Brettspiel und Karten den Tag über verwahren und nicht herausgeben, bei der Strafe von 1 Mark Silber (3). Propst, Chorherren, Priestern und weiteren Personen ist es erlaubt, in der Chorherrenstube zu Mittag oder zu Abend zu essen. Sofern es sich um mehr als sieben Personen handelt, sollen sie ihr Essen von auswärts kommen und nicht vor Ort kochen lassen (4). Nach dem Abendessen ist die Chorherrenstube im Winter um 8 Uhr und im Sommer um 9 Uhr zu schliessen (5). Künftig sollen keine Franziskaner, Dominikaner und Augustiner in der Chorherrenstube zu Gastmählern mit Wein und Spiel empfangen werden (6). Weltliche Personen dürfen zu Gastmählern empfangen werden, jedoch ist dabei das Spielen zu unterlassen. Amtleute des Propsts und der Chorherren dürfen anwesend sein, wie wenn sie Priester wären (7). Wer gegen die oben genannten Bestimmungen verstösst, hat 1 Mark Silber Busse zu bezahlen.

  • Signatur: StAZH G I 1, Nr. 34
  • Originaldatierung: 1485 September 24
  • Überlieferung: Aufzeichnung (Doppelblatt)
  • Beschreibstoff: Papier
  • Format B × H (cm): 22.0 × 31.0
  • Sprache: Deutsch
  • Schreiber: Johannes Gross, Unterschreiber der Stadt Zürich
  • Edition
    Nachweis

Am Tag der Bestätigung der vorliegenden Ordnung wurden Bürgermeister Heinrich RöistPerson: , Hans WaldmannPerson: und Meister Ulrich WidmerPerson: beauftragt, die getroffenen Bestimmungen dem Propst und den Chorherren des GrossmünstersOrganisation: mitzuteilen (StAZH B II 8, S. 15). Bereits im Jahr 1479 war dem ZürcherOrt: RatOrganisation: durch Papst Sixtus IV.Person: erheblichen Einfluss auf das Chorherrenstift zugestanden worden, als er das Vorschlagsrecht für Pfründen erhielt, die während der päpstlichen (ungeraden) Monate des Jahres frei wurden (SSRQ ZH NF I/1/3 11-1). In demselben Jahr hatte der RatOrganisation: zudem eine Ordnung speziell im Hinblick auf das Spielen in den Räumlichkeiten des GrossmünstersOrganisation: erlassen (Zürcher Stadtbücher, Bd. 3/2, S. 231, Nr. 151).

Auch im FraumünsterOrganisation: suchte der Rat seinen Einfluss geltend zu machen: Im Mai des Jahres 1485 hatte er sich aktiv in die Streitigkeiten um die Nachfolge der verstorbenen Äbtissin Anna von HewenPerson: eingeschaltet (Gagliardi, Waldmann, Bd. 1, Nr. 188 n, S. 264). In demselben Zeitraum wurden zudem Pfleger eingesetzt, welche die Wirtschaftsführung verschiedener Klöster beaufsichtigen sollten (SSRQ ZH NF I/1/3 21-1).

Der Erlass der vorliegenden Ordnung entsprach somit einer allgemeineren Tendenz, wonach die ZürcherOrt: Obrigkeit während des letzten Viertels des 15. Jahrhunderts ihre Weisungsbefugnis gegenüber den geistlichen Körperschaften in ihrem Herrschaftsgebiet zu verstärken suchte. Der Sonderstatus der Geistlichkeit wurde damit tendenziell zurückgedrängt. So entsprechen die in der vorliegenden Ordnung enthaltenen Bestimmungen zur Einschränkung von Gastmählern und aufwändiger Lebensführung einem Mandat, das der RatOrganisation: im Jahr 1488 für die ganze Stadt erliess (SSRQ ZH NF I/1/3 26-1).

Für die in der Verordnung gegenüber den Chorherren formulierten Anforderungen in Bezug auf ihre Amts- und Lebensführung vgl. Dörner 1996, S. 94-98; allgemein zur städtischen Kirchenpolitik im späten 15. Jahrhundert vgl. Bless-Grabher 1995, S. 456-458.

Editionstext

Als langzithar zuͦ dem gotzhus der bropstye Zu̍richOrt: Organisation: uff der stuben und loben daselbs nit so schicklichs und ordenlichs weͣsen gebrucht worden ist, von geistlichen und weltlichen personen, als aber billichen beschehen weͣre und umb das soͤlichs hinfu̍r verkommen und die geistlichen als die, so zuͦ der goͤtlichen heimlicheit iren dienst zuͦ fu̍rseͣhen geordnot und erwelt sind, dester bas den almeͣchtigen got in fridlichem und geruͦwtem weͣsen geloben, och erlangen moͤgen, das sich glu̍ck und seͣld under inen erheben weͣrd, so sind unser herren burgermeister und raͤt der stat Zu̍richOrt: Organisation: in bru̍nstigklich bewegt worden, soͤlichs zuͦ bedencken und von inen etlich herren des raͧtesOrganisation: dartzuͦ geordnot, mit herren dem bropst und den chorherren des genannten gotzhussOrganisation: ernstlich zuͦ redent,
[1] das sy ein erber, ersamm, zu̍chtig, ordenlich und zimlich weͣsen an sich nemmen und in den emptern der kilchen zuͦ allen tagenWiederholte Zeitspanne: 1 Tag, sy verdienen oder nit, sigen, nicht in dem kru̍tzgang ald vor der kilchen in den emptern umbganngen spacieren, sunder helfen singen, leͣsen, den gotsdienst fuͤrdern und thuͦn, als die, so den wollust der zergengklichen weͣlt zuͦ rugk gelegt haben und dem allmeͣchtigen got in geistlichem weͣsen flissigklich und andaͤchtigklichen dienen soͤllen, als sy geistlicher wirde und ir pfruͦnden wegen des zuͦ thuͦn schuldig und pflichtig syen.

[2] Und das och hinfu̍r und ewenklich uff der genanten stuben und loben noch in der geistlich[en]Beschädigung durch Falt, sinngemäss ergänzta hu̍sern dheinerley spilen, mit karten, wu̍rfeln und anderm, von geistlichen noch weltlichen personnen, nicht mer gethon werden soͤlle, dann in dem fuͦg, ob und wenn die chorherren und ander priester da in uͤrten by ein andern weͣren und umb kuͦrtzwil gern etwas mit einandern welten machen, das da sy mit einandern karten ald im preͣt spilen moͤgen, jedes spils umb einen angsterWährung: 1 Angster oder umb ein schleͣchte uͤrten und nicht daru̍ber. Und von welichem das u̍bersehen und nit gehalten wirt, das der jeglicher, so dick er das u̍bersicht, j march silbersWährung: 1 Mark zuͦ buͦs verfallen sin und von im on alle gnaͧd ingezogen werden soͤlle.

[S. 2]Seitenumbruch

[3] Und so och die genannten chorherren oder ander priester, also wie vor staͧt, mit einandern im breͣtt spilend oder kartend, wenn dann vesperZeitspanne: nachmittags gelu̍t wirt und die zuͦ singend schier angehept werden sol, das sy dann alle uff hoͤren und die, so also in der stat Zu̍richOrt: verpfruͤndt sind, in ir kilchen gon und da singen und leͣsen soͤllen, wie vorgeschriben ist. Und der knecht uff der genannten stuben die kartenspil, och breͣttspil, als dann behalten und des tagsZeitspanne: tags nit wider herfu̍r geben noch thuͦn laͧsen in dheinen weͣg, by der vorgemelten buͦß.

[4] Ob och herren bropst, der chorherren ald priestern einicher b–und ander bi inenHinzufügung am linken Rand mit Einfügungszeichen–b geͣrn uff der stuben oder loben zuͦ c–imbis oderHinzufügung oberhalb der Zeile mit Einfügungszeichen–c nacht essen welten, soͤllen und moͤgen die ir eͣssen beschicken und inen nit da gekochot werden, es weͣre dann sach, das ungefarlich iro sechßMenge: 6 oder sibenMenge: 7 da sin welten. Und ob iro nit mer ist, das dann denen da gekochot werden moͤge, was sy dahin köfend und doch zimlich und der maͧs gefu̍ret werden, das davon dhein schad bescheͣhe.

[5] Und so sy och also wintterZeitspanne: Winter zit nachtsZeitspanne: nachts in der stuben oder loben eͣssend, das sy alle darab gon soͤllen, so der wachter aͤchteZeit: 20:00 lu̍t und summerzitZeitspanne: Sommer, so in beider mu̍nstern einem zuͦ peͣtt gelu̍tZeit: 21:00 wirt1 und als dann die stub und lob beschlossen und dero deweders uffgethon werden, bis und morndis des rechten imbiss, es weͣre dann sach, das iro etlich da zuͦ imbis eͣssen welten.

[6] Es soͤllen och hinfu̍r dhein bruͤder der dryerMenge: 3 gotzhu̍ser barfuͦsenOrganisation: , bredigerOrganisation: und aͧgustinerOrganisation: d nit mer uff noch in die vorgenanten stuben oder loben zuͦ dem win und in uͤrten gon, da mit inen im breͣtt zuͦ spilend, zuͦ kartend noch sust.

[7] Ob sich och fuͦgte, da dehein weltlich personnen zuͦ inen uff ir stuben oder loben geͣrn gon, daby inen in uͤrten oder mit inen zuͦ imbis oder nacht essen welten, dz sy das wol tuͦn moͤgen, doch das sy dheinerley spilen tuͦn soͤllen.

[S. 3]Seitenumbruch

Und doch, so ist harinn us bedingt, das der vorgenannten herren brobsts und der chorherren amptlu̍t wol in die genannten stuben oder loben gon und da sin moͤgen wie priester.

[8] Und von welichem der obgemelten stucken einichs u̍berseͣhen und das nit gehalten wirt, das der jeglicher och j march silbersWährung: 1 Mark zuͦ buͦs verfallen sin und die von im on alle gnaͧd ingezogen werden soͤlle, wie vorstaͧt.

Uff sambstag nach MatheiPerson: anno etcAbkürzung lxxxvOriginaldatierung: 24.9.1485 habent sich min herren burgermeister und raͤtOrganisation: erkendt, das es bi diser ordnung nūn und hinfu̍r unableͣslich beliben, die gehalten und vollstreckt werden soͤlle.

|Seitenumbruch
[Vermerk auf der Rückseite von Hand des 15. Jh.:] Ordnung der priesterschaft zuͦ der probstyOrganisation: und der stuben daselbs, 1485Datum: 1485
[Vermerk auf der Rückseite:] e

Anmerkungen

  1. Beschädigung durch Falt, sinngemäss ergänzt.
  2. Hinzufügung am linken Rand mit Einfügungszeichen.
  3. Hinzufügung oberhalb der Zeile mit Einfügungszeichen.
  4. Streichung: noch och weltlich personen.
  5. Streichung durch Schwärzen: Naͧchgon und.
  1. Der erwähnte Glockenschlag ertönte um neun Uhr abendsZeit: 21:00, vgl. StAZH A 81.1, Nr. 6 sowie Casanova 2007, S. 185 und Sutter 2001, S. 181.