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SSRQ ZH NF I/1/3 156-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Erste Reihe: Stadt und Territorialstaat Zürich. Band 3: Stadt und Territorialstaat Zürich II (1460 bis Reformation), von Michael Schaffner

Zitation: SSRQ ZH NF I/1/3 156-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Weisung der Verordneten und Eherichter der Stadt Zürich betreffend Ehescheidungen

1533 Mai 20.

Die zur Beratung der Frage der Ehescheidung verordneten Räte, Pfarrer und Eherichter sind zu folgenden Schlüssen gekommen: Die Scheidung der Ehe wird durch Gott an verschiedenen Stellen der Bibel erlaubt und ist zur Erhaltung des Ehestands insgesamt nützlich, sofern sie den Ehepartnern nicht zu sehr erleichtert und der Ehebruch hart bestraft wird. Da das richtige Strafmass für den Ehebruch nicht leicht zu ermitteln ist, empfiehlt sich eine Beratung mit anderen reformierten Städten. Die Verordneten schlagen deshalb vor, an Bern, Basel, Schaffhausen und St. Gallen zu schreiben mit der Bitte, Gesandte nach Zürich zu entsenden zwecks Entwicklung einer einheitlichen Rechtsprechung in Ehesachen. Dies ist umso mehr vonnöten, als bereits davon gesprochen wird, die reformierten Städte seien sich hinsichtlich des Eherechts uneinig. Folgende Artikel sollen zur Beratung vorgelegt werden: Die erlaubten Verwandtschaftsgrade bei der Heirat (1); die Bestimmung, wonach bei vorehelicher Sexualität der Mann die betroffene Frau heiraten muss (2); die Bestrafung desjenigen Ehepartners, der durch seinen Ehebruch eine Scheidung verursacht hat (3).

  • Signatur: StAZH A 6.1, Nr. 6
  • Originaldatierung: 1533 Mai 20
  • Überlieferung: Aufzeichnung (Doppelblatt)
  • Beschreibstoff: Papier
  • Format B × H (cm): 22.0 × 32.0
  • Sprache: Deutsch
  • Schreiber: Heinrich Utinger

Mit dem ersten Ehemandat der Stadt ZürichOrt: wurde im Jahr 1525 die Möglichkeit zur Scheidung eingeführt (SSRQ ZH NF I/1/11 1-1). Dies geschah vor dem Hintergrund der Aufwertung der Ehe, die durch die reformierte Theologie zur einzig legitimen Form des Zusammenlebens zwischen Frauen und Männern erklärt wurde, was umgekehrt jedoch auch die verstärkte Sanktionierung ausserehelicher Formen der Sexualität zur Folge hatte. Bereits das erste Ehemandat nennt deshalb Ehebruch als wichtigsten Scheidungsgrund, wodurch insbesondere dem betrogenen Ehepartner die Möglichkeit zur Wiederverheiratung gegeben werden sollte. Die Scheidung wurde durch das EhegerichtOrganisation: ausgesprochen, die auf Ehebruch stehenden Strafen verhängte nach Überweisung der Fälle der RatOrganisation: (zum EhegerichtOrganisation: vgl. auch SSRQ ZH NF I/1/3 141-1).

Die vorliegende Aufzeichnung dokumentiert die Bemühung der Obrigkeit um eine restriktive Handhabung der Ehescheidung sowie um eine Angleichung der Rechtsprechung zwischen den reformierten Orten der EidgenossenschaftOrt: . Sie lässt sich der Hand Heinrich UtingersPerson: zuordnen, der bereits vor der Reformation bischöflicher Kommissar in Ehesachen war und von 1525 bis zu seinem Tod im Jahr 1536 als Schreiber des EhegerichtsOrganisation: fungierte (HLS, Utinger, Heinrich). Als Ergebnis der vorliegenden Weisung fanden im Juni und Juli 1533 zwei Zusammenkünfte von Vertretern der erwähnten Orte und die Einigung auf gemeinsame Richtlinien statt (StAZH A 6.1, Nr. 7; vgl. dazu Köhler 1932, S. 417-441). Die Richtlinien wurden jedoch bewusst nicht publiziert, sondern sollten den Gerichten als Leitschnur für die Praxis dienen. ZürichOrt: nahm jedoch die wichtigsten Beschlüsse, insbesondere soweit sie eine Modifikation des Mandats von 1525 bedeuteten, in das erneuerte Ehemandat von 1539 auf (StAZH III AAb 1.1, Nr. 25). Danach fand die nächste umfassende Revision der Ehegesetzgebung erst im Jahr 1698 mit dem Erlass der neuen Ehesatzung statt (enthalten in: StAZH B III 62; Edition: Grünenfelder 2007, S. 185-249).

Zur Ehescheidung vgl. Grünenfelder 2007, S. 81-152; Rost 1935.

Editionstext

Frommen, vesten, fu̍rsichtigen, wysen herren, nach dem und wir
uff u̍wer ersam wyßheiten bevelch ze samen kommen
und der handel der escheydung mitsampt anderen
anhangenden stucken nach der lenge erwaͤgen und
befunden, das die escheidung von got in ettlichen
articklen und faͤlen zuͦ gelassen, ouch uns nutzlich und
notwendig ist, deßglychen zuͦ enthaltung eeliches stands
und zuͦ vil guͦten stuken reicht, so fer und sy nit
ze ring gemacht und ein scherpfere sträff dem
ebruch bestimpt, uff das nit ettlich ebrëchind, das
sy ein nuͤwe e beziehen mogind, doch die selb sträff
und mittel, wie man christenlich handlen moͤge
und das arg uß schliessen, eben schwër zuͦ bestimmen,
das sy weder ze lynß noch ze ruch syend,
dargegen aber räts pflëgen und ouch andere unsers
gloubens christen lu̍t verhoͤren und mitt inen unser
meinung erduren, nutzlich und zuͦ disem schwëren
handel dienstlich sin geacht,
ist unser aller hoͤchste bitt und ermanen, u̍ er wu̍wer ersam wisheit
welle ouch den u̍berigen unsers gloubens christenlichen
stetten, als BernOrt: , BaselOrt: , SchafhusenOrt: und S. GallenOrt: , oder
die u̍ch wyter anmuͤtig, dises unser anligen zuͦschryben
und vermoͤgen, das sy nach ryffer betrachtung har, inn
u̍wer statt Zu̍richOrt: ire bottschafften von raͤtenOrganisation: und gelerten
oder predicanten sendind, damitt man sich wol nach
notturfft underreden und ettwas einmuͤtigs in dem
handel bestimmen, dabi man ouch blyben und es
ze allen teilen erhalten moͤge, ouch hiemitt hingelert
werde die nachred, so uns vil widerfart und man spricht,
wir syend der sachen nit eins, in einer statt richtends
in eelichen sachen also, in der anderen anderst.
Die artickel aber, so inen zuͦgeschriben, darinn sy ein nachtrachtung haben und darumb har kommen soͤllend,
sind fu̍rnëmlich dise:

1 Weliche personen und grad die e rechtlich beziehen
mogind, ob man doch allein by der ju̍dischen bstimmung
[Vermerk unterhalb der Zeile von anderer Hand:]
Ward eyn tag allhär gan ZürichOrt: darumb gesetzt, uffHinzufügung oberhalb der Zeilea zinstagb nach trinitatis anno etcAbkürzung xvc
xxxiijo
Datum: 10.6.1533
.
[S. 2]Seitenumbruch

im buͦch der LevitenOrganisation: am xviijMenge: 18 capitel belyben oder ob man
ouch nit ettliche nahe glid, ergernis ze vermyden,
ußziehen moͤchte.1

2 Ob wir die satzung MosisPerson: 2 die verfellung und
schwëchen der jungfrowen betrëffend, das der schwecher
die geschwechten han muͦß, ouch under uns billich
lassind gelten oder ob man billicher kein e gelten
lasse, dann die in bywaͤsen biderber lu̍ten bezogen sye,
aͧne kupplen, pratik, inzug, falsch und betrug.

3 So man die bezognen e reͣchtlich und uß notturfft
scheidet, mitt was sträff und pen fuͤrkommen
werd, das der ebruch und escheidung nit also
gemein, ouch wie Streichung mit Textverlust (1 cm)c dem schuldigen ze tuͦn sye,
das doch nit so vil erfunden, da ettlicher von zweyenMenge: 2,
dryenMenge: 3 wiberen gescheiden, allweg ein andre hat
genommen, mit grosser ergernus der gloͤubigen
und ungloͤubigen.3

In summa, das sy sich aller irer articklen das egrichtOrganisation:
betrëffend dermäß betrachtind und beredint,
das man von disen jedem und allen nach
notturft und anzug handlen koͤnne, ob hierinn
einigung und verglychung moͤchte funden werden,
guͦter hoffnung, semmlichs wurde vil guͦts, eren, ghorsame,
fridens und zucht gebëren,

bittend hierinn zum forderisten, u̍ er wu̍wer ersam wisheit welle
in disem handel, der wenig beiten hat, nach unserem
anbringen und begëren fu̍rderlich und tru̍wlich
handlen, damitt die unordnungen und schmachreden,
die von tag ze tag wachsend, abgestellt werdind.
U̍ er wU̍wer ersam wisheit,
gehorsamen burger und hierzuͦ verordneten
Johans HabPerson: , Felix WingarterPerson: , Peter MeyerPerson:
und Batt BachofenPerson: ,
predicanten und erichter.4
Zinstag, 20 maii 1533Originaldatierung: 20.5.1533
[S. 3]Seitenumbruch [S. 4]Seitenumbruch
[Vermerk auf der Rückseite von Hand des 18. Jh.:]
Wyßung der ehescheidungen halben, 1533Originaldatierung: 1.1.1533 – 31.12.1533
[Vermerk auf der Rückseite von späterer Hand:] 1533Originaldatierung: 1.1.1533 – 31.12.1533

Anmerkungen

  1. Hinzufügung oberhalb der Zeile.
  2. Streichung: s.
  3. Streichung mit Textverlust (1 cm).
  1. Leviticus 18 enthält (unter anderem) das Verbot der Sexualität unter Blutsverwandten. Während das erste ZücherOrt: Ehemandat von 1525 hinsichtlich der zur Heirat berechtigten Verwandtschaftsgrade nur knapp auf diese Bibelstelle verweist (SSRQ ZH NF I/1/11 1-1), enthält ein ergänzendes Mandat von 1530 ausführlichere Bestimmungen, wonach Ehen unterhalb des vierten Verwandtschaftsgrads verboten waren (StAZH III AAb 1.1, Nr. 18). Die Beratungen der reformierten Orte bestätigten im Jahr 1533 diese Praxis, zusätzlich verbot das erneuerte ZürcherOrt: Ehemandat von 1539 jedoch auch die Ehen von Geschwisterkindern (StAZH III AAb 1.1, Nr. 25).
  2. Bei der erwähnten Bibelstelle handelt es sich um Exodus 22, 15-16. Die Verpflichtung des Mannes zur Heirat nach vorehelichem Sexualverkehr, respektive der einfachen Auszahlung der Morgengabe an die Frau ohne Heirat, sofern seine Eltern mit der Verbindung nicht einverstanden waren, wird im Ehemandat von 1525 explizit festgehalten. Das Ehemandat von 1539 schwächt diese Bestimmung dahingehend ab, dass eine Verpflichtung nur bestand, sofern ein vor zwei Zeugen geleistetes Eheversprechen vorlag und die Frau über einen guten Leumund verfügte. Diese Regelung verschlechterte somit den Spielraum für Frauen, beim Leugnen des Eheversprechens seitens des Mannes mittels eines Gerichtsverfahrens die Anerkennung der Ehe doch noch durchzusetzen (zum Eheversprechen im reformierten Kontext vgl. Grünenfelder 2007, S. 20-49; für die diesbezügliche Ausgangslage vor der Reformation vgl. SSRQ ZH NF I/1/3 9-1).
  3. Die Bestrafung des Ehebruchs wird bereits im ersten Ehemandat von 1525 geregelt. Um die Instrumentalisierung der Untreue zum Zweck der Wiederverheiratung zu verhindern, wurde die erneute Heirat desjenigen Ehepartners, der die Scheidung verursacht hatte, im Ehemandat von 1530 unter Bewilligungspflicht des Ehegerichts gestellt. Von Fall zu Fall verhängte dieses deshalb Wartefristen, bevor der an der Scheidung Schuldige wieder eine neue Verbindung eingehen konnte. In den Beratungen der reformierten Orte des Jahres 1533 wurde in diesem Zusammenhang die Wartefrist von einem Jahr für den an der Scheidung schuldigen Ehepartner und sechs Monaten für den unschuldigen Teil festgelegt (StAZH A 6.1, Nr. 7). Diese Frist erwähnt auch die Ehegerichtssatzung von 1698 (StAZH B III 62; Edition: Grünenfelder 2007, S. 185-249).
  4. Die erwähnten Personen waren im Jahr 1533 nicht Richter am EhegerichtOrganisation: . Sie dürften deshalb zur Bildung einer beratenden Kommission beigezogen worden sein, ein entsprechender Auftrag ist nicht überliefert. Die Namen der Eherichter sind jeweils zu Beginn der Ehegerichtsprotokolle vermerkt (StAZH YY 1).