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SSRQ ZH NF I/1/3 167-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Erste Reihe: Stadt und Territorialstaat Zürich. Band 3: Stadt und Territorialstaat Zürich II (1460 bis Reformation), von Michael Schaffner

Zitation: SSRQ ZH NF I/1/3 167-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Ordnung der Stadt Zürich für den Frauenwirt (Bordellbetreiber)

1538 Februar 12.

Bürgermeister Diethelm Röist und beide Räte haben beschlossen, nach einem männlichen Betreiber des Bordells zu suchen, da es in der Vergangenheit immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Freiern gekommen sei und die bisherige weibliche Betreiberin dem nicht habe Einhalt gebieten können. Dem Bordellbetreiber geben sie die folgende Ordnung: Streitigkeiten sind zu schlichten und wenn nötig Bürgermeister, Oberstzunftmeister oder Stadtknechten anzuzeigen (1); verheirateten Männern ist der Zutritt zum Bordell verboten, bei der Strafe der Inhaftierung im Turm für den Betreiber ebenso wie für den Freier (2); zur Vermeidung von Trunkenheit muss das Haus nach neun Uhr abends geschlossen werden. Wer mit zutrinken, fluchen, Frieden brechen, spielen und anderen Delikten gegen die obrigkeitlichen Mandate verstösst, ist anzuzeigen (3); es dürfen keine Prostituierten beschäftigt werden, die Geschlechtskrankheiten übertragen könnten (4); Prostituierte, die fluchen oder handgreiflich werden, hat der Bordellbetreiber im Wiederholungsfall anzuzeigen (5); am Samstag und vor Feiertagen muss das Bordell um sieben Uhr abends geschlossen und darf am nächsten Tag erst nach dem Gottesdienst wieder geöffnet werden (6); diese Ordnung hat der Bordellbesitzer mit seinem Hausgesinde einzuhalten, wie wenn er einen Eid darauf abgelegt hätte (7); es dürfen keine Frauen in das Bordell eingewiesen werden, es sei denn, man habe zuvor deutliche Kenntnis davon, dass sie sich schon zuvor als Prostituierte betätigt haben (8); der Betreiber ist verpflichtet den Unterhalt des Hauses zu garantieren und den jährlichen Zins zu entrichten (9).

  • Signatur: StAZH A 43.2, Nr. 81
  • Originaldatierung: 1538 Februar 12
  • Überlieferung: Aufzeichnung (Doppelblatt)
  • Beschreibstoff: Papier
  • Format B × H (cm): 21.5 × 32.0
  • Sprache: Deutsch
  • Schreiber: Werner Beyel, Stadtschreiber von Zürich

Die erste ausführlichere normative Quelle zur Prostitution in der Stadt ZürichOrt: stammt aus dem Jahr 1319 und enthält stigmatisierende Kleidervorschriften für die Prostituierten (Zürcher Stadtbücher, Bd. 1/1, S. 17-18, Nr. 42). Auch das Mandat des Jahres 1488 beschäftigt sich mit der äusseren Erscheinung der Prostituierten, indem es diese ausdrücklich von den Bestimmungen in Bezug auf weibliche Kleidung und Schmuck ausnimmt (SSRQ ZH NF I/1/3 26-1).

Die bekanntesten städtischen Bordelle befanden sich während des Spätmittelalters links der LimmatOrt: im KratzOrt: , in der rechtsufrigen Stadt hingegen Auf dem GrabenOrt: an der Stadtmauer (in der heutigen ChorgasseOrt: ). Die vorliegende Ordnung bezieht sich auf eines der Häuser Auf dem GrabenOrt: , dessen Liegenschaft in städtischem Besitz war. Systematische Untersuchungen zur Herkunft der Prostituierten liegen für ZürichOrt: nicht vor; wie in anderen spätmittelalterlichen Städten dürfte es sich jedoch mehrheitlich um auswärtige Frauen gehandelt haben. Als Betreiber von Bordellen sind sowohl Männer als auch Frauen überliefert. Zahlreiche Zeugnisse liegen zu Elsbeth von MellingenPerson: vor, die während der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in ZürichOrt: und SchaffhausenOrt: als Frauenwirtin tätig war (Landolt 2007a).

Mit der Reformation erfolgte eine schrittweise Einschränkung der Prostitution, wobei in erster Linie die Strassenprostitution sowie die Bekämpfung des Ehebruchs im Augenmerk der Obrigkeit lagen (vgl. dazu das Mandat des Jahres 1526, StAZH E I 1.1, Nr. 35; Edition: Egli, Actensammlung, Nr. 944). Trotzdem war die Prostitution an bestimmten Orten weiterhin geduldet, wie die vorliegende Ordnung belegt. Ab 1550 wurde sie jedoch zunehmend kriminalisiert und fand fortan weitgehend im Versteckten statt, was nicht zuletzt auf Bemühungen der Pfarrerschaft und der Eherichter zurückzuführen war (vgl. dazu die Eingabe der Eherichter an den RatOrganisation: aus dem Jahr 1547, StAZH A 6.1, Nr. 14).

Zur Prostitution im vormodernen ZürichOrt: vgl. Gilomen 1995, S. 352-353; Brecht 1969; zum Bordell Auf dem GrabenOrt: vgl. KdS ZH NA III.II, S. 460.

Editionstext

Deß froͧwenwirts ordnung

Alss bißhar im frowenhuss von den jungen gsellen vyl fräfel unnd muͦttwillen verganngen, also, das sy eynannder übel geschädiget unnd nyemandt da gewësen ist, der dess huses goumpt unnd die gsellen irer unzüchten gestoüpt ald zuͦ ruͦwen vermant hette, dardurch sy ettwa ein anlaass genommen, destmeer an söllichem ort zeunfuͤgen, das aber minen herren, denen söllich sachen zun zyten fürkommen, zum höchsten mißfallen unnd darumb uss söllichem grund bewegt worden sind, die frowenwirtin uss söllichem huss, als ein blöd wybsbild, die inn empörungen unnd zerwürffnüßen forchtsam unnd gar keynes ansechens by unnd vor den gsellen ist, zeurlouben unnd nach eyner manns person nachzestellen, darab die frëffner ein schüchen, darzuͦ die wirt meer statt hand, dieselben von unzüchten unnd irem unbesynnten, muͦttwilligen wësen unnd thättlichem fürnemmen zestoüben unnd abzuͦstellen unnd habend daruff demselben wirt dise satzung, dëren trüwlich unnd ernstlich nachzekommen ingebunden, wie hernach volgt.

[1] Nammlich unnd dess ersten, das er all zerwürffnüßen, unmaaßen unnd unfuͦren, so sich daoben im huss zwischen frowen unnd mannen zuͦtragen möchten, bests sines vermögens stillen, zefriden unnd abstellen unnd die gesellen unnd gsellinen ruͤwigen sölle. Ob sich aber eyner oder meer nit stillen laßen, sunder inn unfuͦgen beharren unnd nyenarumb nützit geben wölten, den unnd dieselbigen soll er minen herren oder yezuͦzyten eynem burgermeyster oder dem oberisten ald sunst miner herren knechten leyden, damit sy die ruͤwigen unnd nach irem verschulden straaffen mögind.

[S. 2]Seitenumbruch

[2] Zum annderen, als zun zyten ouch eelüth inn das huss ganngen unnd da ir üppigkeyt volnbracht oder sunst darinn zeert habend, wellichs nit alleyn göttlichem gsatz, sunder ouch minen herren unnd aller erbarkeyt zewider ist, deßhalb geordnet, das der wirt keynem eemann keyn uffennthalt ald platz, deßglychen wëder eßen noch trüngken meer da geben, wäder tagsZeitspanne: tags noch nachtsZeitspanne: nachts, sunder sy ab- unnd heymwysen unnd inen gar keyner bywonung dess ënnds gestatten. Unnd ob ye eyner sich nit abwysen laßen wölte, denselben, wie obstat, darumb by sinem eyd leyden sölle. Unnd ob der wirt mit wüßen söllichs übersëchen oder sunst ein eemann geleydet unnd es von im kundtlich wurde, den wellent unnsere herren mit dem thurn unnd darzuͦ wyter nach irem gefallen straaffen, doch allwëg der satzung dess eebruchs halb, so sich einer inn derselben verwürgken wurde, unabbrüchlich.1

[3] Zum dritten, zuͦverhuͤttung der unruͦwen, darin ettwa die gsellen uss trungkenheyt fallend, damit sy sich ouch dest zyttlicher zehuss machint, ist geordnet, das der wirt keynem nachtsZeitspanne: nachts, nach dem die glogk nüneZeit: 21:00 schlecht, keynen wyn meer geben noch ufftragen, ouch keynen meer inlaßen, sunder das huss zuͦ nünenZeit: 21:00 beschlyeßen, die gest zuͦ ruͦwen wysen, ouch inen wyters wuͦlens nit gestatten. Unnd ob ettwar darwider thuͦn ald sunst mit zuͦtringken, schweeren, gottslësteren, spilen, zugken, schlachen, fridversagen ald fridbrëchen oder anndern dingen wider miner herren gsetzdte unnd mandaten tagsZeitspanne: tags ald nachtsZeitspanne: nachts fräflen wurde, dieselben leyden unnd fürbringen sölle, wie obgeschriben staat, by der buͦss inn den mandaten vergriffen.2

[4] Zum vierdten, der krangken frowen halb, denen zuͦvylmalen ettwas prëstens zuͦstaat, das die gsellen übel verderpt [S. 3]Seitenumbruch werdent unnd ettwa einer eerpt, das er sin lëbenlanng zethöuwen hat, da ist versëchen, das der wirt, wo er also krangk, blatterecht ald sunst brësthafftig frowen haben wurde, dieselben angënds uss dem huss verwysen unnd dëren wytter herberg ald uffennthalt nit geben unnd also allweg umb suber frowen luͦgen unnd das huss dermass versëchen sölle, das guͦtt gsellen nit dermass geschenndt unnd verunreyniget werdint.3

[5] Zum fünfften, als ouch die wyblin zuͦ zyten übel schweerend unnd den gsellen üppige, anläßige wort gebend, dessglychen ouch ettwa unnderstand, mit der hand zuͦfräfflen, das aber wybern keyns wegs zuͦstatt unnd zuͦ unruͦwen vil ursach gydt, das soll der wirt mit aller tapferkeyt abstellen unnd inen söllichs inn keynen weg gestatten ald nachlaßen, sunder wo sy nit abstan unnd sich nit züchtigen ald stoüben laßen wölten, dieselben darumb leyden. Dann so er das nit thuͦn unnd villicht ettwas schuld ald nachläßigkeyt an im erfunden, darumb wurde man in, dessglychen die wyber, nach irem verdienen unnd nachdemm der fräffel erfordert, one verschonen straaffen.

[6] Zum sechßten, soll er all sampßtagWiederholte Zeitspanne: 7 Wochen unnd all gepotten fyrabent, die man hie fyret, das huss gegen der nachtZeitspanne: nachts zuͦ sibnenZeit: 19:00 beschlyeßen unnd nit uffthuͦn, ouch nyemant inlaßen, unntz man morndessZeitspanne: morgens von kilchen kompt, by eynem halben march silberWährung: 0.5 Mark buͦss.

[7] Dise ordnung soll er ouch mittsampt sinem hußgsind styff unnd stätt allermaass, als ob er die geschworen hette, haltten unnd darby belyben, dann wo er darwider thuͦn ald gethan werden wißenntlich gestatten wurde, [S. 4]Seitenumbruch darumb werdent in mine herren, nach gelëgenheyt unnd gstaltsammi der sachen, straffen, nachdem sy yederzyt guͦtt unnd billich dungkt. Darnach soll er sich wüßen ires willens zehalten.

[8] a– Item er soll uff argwon hyn keyn wybsbild inn das frowenhuss ziechen, es syge dann, das sy sich uff der gaßen ald inn stälen so offennlich verruͦcht unnd unverschampt mit der huͦry sëchen lassind, das er ursach habe, sy umb söllicher offennbaren üppigkeyt willen mit dem gemeynen huss zebuͤssen.4Hinzufügung unterhalb der Zeile mit Einfügungszeichen–a

[9] Item er soll das huss inn tachhung unnd inn eeren, wie es im ingëben ist, beheben, deßglychen die zynss, so daruff stand, one der statt costen järlichWiederholte Zeitspanne: 1 Jahr richten unnd bezalen, doch was eehaffter büwen sind, die söllent in nit beruͤren.

Erkennth unnd bestättet zynßtags nach DorotheePerson: anno etcAbkürzung 1538Datum: 12.2.1538, presentibusIn der Vorlage: pnt herr Diethelm RoystPerson: unnd beyd räthOrganisation: .

[Vermerk unterhalb der Zeile von Hand des 18. Jh.:] Des frauwen wirths ordnung, 1538Originaldatierung: 1.1.1538 – 31.12.1538
[Vermerk unterhalb der Zeile von Hand des 18. Jh.:] 1538Originaldatierung: 1.1.1538 – 31.12.1538

Anmerkungen

  1. Hinzufügung unterhalb der Zeile mit Einfügungszeichen.
  1. Zur Sanktionierung des Ehebruchs vgl. das gedruckte Ehemandat des Jahres 1525 sowie das Mandat betreffend Ehebruch (SSRQ ZH NF I/1/11 1-1; StAZH III AAb 1.1, Nr. 2; Edition: Zürcher Kirchenordnungen, Bd. 1, Nr. 27). Zum EhegerichtOrganisation: vgl. auch das Verzeichnis der im Jahr 1527 hängigen Fälle (SSRQ ZH NF I/1/3 141-1).
  2. Die Bestrafung dieser Delikte wurde im Grossen Mandat des Jahres 1530 geregelt. Zudem waren sie Gegenstand der im Anschluss an die halbjährlichen Eidleistungen verlesenen Verbote (SSRQ ZH NF I/1/11 8-1; SSRQ ZH NF I/1/3 168-1).
  3. Zur Übertragung der seit Ende des 15. Jahrhunderts vor allem durch Söldner aus ItalienOrt: eingeschleppten Syphilis vgl. HLS, Syphilis; Gilomen 1995, S. 353.
  4. Dies bezieht sich auf die Einweisung von Strassenprostituierten in die dafür vorgesehenen Bordelle, vgl. Brecht 1969, S. 69.