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SSRQ ZH NF I/2/1 266-1

Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Erster Teil: Die Stadtrechte von Zürich und Winterthur. Zweite Reihe: Die Rechtsquellen der Stadt Winterthur. Band 1: Die Rechtsquellen der Stadt Winterthur I, von Bettina Fürderer

Zitation: SSRQ ZH NF I/2/1 266-1

Lizenz: CC BY-NC-SA

Steuerordnung der Stadt Winterthur

1534.

Der Kleine und der Grosse Rat von Winterthur erlassen folgende Steuerordnung: Die Bürger von Winterthur sollen ihr bewegliches und unbewegliches Vermögen zu einem Steuertarif von 0.5 Prozent versteuern. Sie können ihren Besitz selbst taxieren oder schätzen lassen, wer unter 11 Schilling Steuern zahlt, darf sich nicht selbst einschätzen. Der Steuertermin fällt auf den Sonntag nach dem 25. November und wird vierzehn Tage sowie eine Woche vorher durch den Stadtknecht auf der Kanzel verkündet. In diesem Zeitraum können die Bürger gruppenweise vor den Kleinen Rat kommen, wo der Stadtschreiber ihre Steuereinschätzung aufnimmt. Anschliessend leisten sie den Steuereid. Am Freitag vor dem Steuertermin sucht der Stadtschreiber in Begleitung der drei Stadtknechte alle Bewohner auf, die nicht im Steuerbuch aufgeführt sind. Am folgenden Tag wird bei denjenigen, die das Bürgerrecht besitzen, die Steuerschätzung vorgenommen, alle anderen müssen die Stadt verlassen oder Quartier bei Wirten nehmen. Stellt sich heraus, dass jemand eine geringere Summe deklariert hat, als geschätzt wurde, nimmt man ihm die Schlüssel ab und pfändet seinen Besitz. Am Steuertermin fordert der Stadtknecht Bürger und Einwohner in der Kirche auf, die Steuern dem Säckelmeister zu bezahlen oder Stadt und Friedkreis zu verlassen, bis die Steuerschuld beglichen ist. Der Säckelmeister untersteht der Aufsicht der beiden Schultheissen und des Stadtschreibers.

  • Signatur: ZGA Elgg IV A 3a, fol. 93v-94v
  • Originaldatierung: 1534 (Undatiert, Datierung aufgrund des Vermerks auf fol. 119r betreffend die Übermittlung von Winterthurer Satzungen im Jahr 1534)
  • Überlieferung: Abschrift
  • Beschreibstoff: Papier
  • Format B × H (cm): 22.0 × 29.0
  • Sprache: Deutsch

  • Signatur: winbib Ms. Fol. 27, S. 412-413
  • Originaldatierung: Mitte 18. Jh.
  • Überlieferung: Abschrift
  • Beschreibstoff: Papier
  • Format B × H (cm): 24.0 × 35.5
  • Sprache: Deutsch

Die Steuerordnung der Stadt WinterthurOrt: ist im Satzungsbuch der Gemeinde ElggOrt: überliefert, vgl. den Kommentar zu SSRQ ZH NF I/2/1 265-1. Sie wurde auch in das Kopial- und Satzungsbuch aufgenommen, das Stadtschreiber Gebhard HegnerPerson: anlegte und das nur mehr in der Abschrift Johann Jakob GoldschmidsPerson: aus dem 18. Jahrhundert vorliegt (winbib Ms. Fol. 27, S. 412-413). Beide Texte sind weitgehend identisch. Johann Conrad Troll gibt die Steuerordnung ohne Angabe der Quelle sprachlich überarbeitet wieder und datiert sie ins Jahr 1401 (Troll 1840-1850, Bd. 6, S. 67-69), ebenso Kaspar Hauser, der Herausgeber der Chronik des Laurenz BosshartPerson: (Bosshart, Chronik, S. 65, Anm. 1).

Der Bürger- und Hintersasseneid verpflichtete die Einwohner zur Steuerzahlung (Eidformel der Bürger: winbib Ms. Fol. 241, fol. 1r-v; STAW B 3a/10, S. 1-2; zur Stellung der Hintersassen vgl. SSRQ ZH NF I/2/1 64-1). Ende der 1420er Jahre ordneten Schultheiss und beide RäteOrganisation: an, dass die Steuerpflichtigen über ihr bewegliches und unbewegliches Vermögen Auskunft geben mussten (STAW B 2/1, fol. 74r). 1452 legte man für säumige Zahler Verzugsgebühren pro Tag in Höhe der Steuersumme fest (STAW B 2/1, fol. 118v). 10 Jahre später wurde die Ausweisung und Pfändung der Betroffenen bei Zahlungsverzug beschlossen (SSRQ ZH NF I/2/1 86-1). Bürger, die nicht in der Stadt wohnten, sogenannte Ausbürger, verloren ihr Bürgerrecht, wenn sie den Steuertermin nicht einhielten (STAW B 2/5, S. 326, zu 1488). Ein Fall von Steuerhinterziehung ist für das Jahr 1544 dokumentiert. Als sich Zweifel über die Angaben eines Steuerpflichtigen nach gründlicher Überprüfung bestätigten und dieser des Meineids überführt war, wurde ihm auf Bitten seiner Verwandten zwar die Todesstrafe erlassen, doch verlor er sein Bürgerrecht und musste die übliche Abzugsgebühr von 20 Prozent seines Vermögens bezahlen (SSRQ ZH NF I/2/1 289-1).

Eine Mitte der 1490er Jahre entstandene Aufzeichnung des Stadtschreibers Konrad LandenbergPerson: präzisiert die Vermögenssteuerpflicht (SSRQ ZH NF I/2/1 166-1, Artikel 1). 1469 wurden der Schultheiss, ein Mitglied des KleinenOrganisation: und zwei Mitglieder des Grossen RatsOrganisation: damit beauftragt, die Selbstdeklarationen über das Vermögen entgegenzunehmen. Strittige Fälle sollten sie dem Kleinen RatOrganisation: vorlegen (STAW B 2/2, fol. 17r; STAW B 2/3, S. 106). Bei erhöhtem Finanzbedarf erhob der RatOrganisation: ausserordentliche Kopfsteuern (SSRQ ZH NF I/2/1 78-1, zu 1448). Darüber hinaus wurden aber auch mit einzelnen Bürgern individuelle Absprachen getroffen, etwa eine pauschale Steuersumme vereinbart oder Steuerfreiheit gewährt, vgl. Niederhäuser 2014, S. 142. Zum städtischen Steuerwesen im Mittelalter allgemein vgl. Isenmann 2012, S. 526-542.

Editionstext

Satzung und ordnung zestüren, die soll volgender wyse geprucht werdenUnterstrichen

BedOrganisation: , kleinOrganisation: und groß raͤtOrganisation: , haben angesaͤchen, das alle burger zuͦ WinterthurOrt: ir guͦt, ligentz und varentz, soͤllen verstüren nach der march, und namlich alwaͤgen von hundert guldinWährung: 100 Gulden ein halben guldinWährung: 0.5 Gulden zuͦ stür gaͤben.1

Der lybtinger halb ist ouch von ernaͤmpten beden raͤthenOrganisation: entschlossenn, das das libting nach dem huͦptguͦt und nit nach den stücken, also alwaͤg von hundert guldinWährung: 100 Gulden ein halben guldinWährung: 0.5 Gulden gestürt werdenn.

Es mag ouch ein yeder burger, so nit under einliff schilingWährung: 11 Schillinge zestür gibt, selber stüren oder sich lassen tüncken. Was aber under einliff schillingWährung: 11 Schillinge stüret, mag sich saͤlb nit stüren, sonder der selb wirt düncket.

Die ordnung des stürens ist also:
Uff den naͤchstenn suntagZeitspanne: Sonntag nach sant KathrinenPerson: tagDatum: 25. November soll die stür bezallt werden. Deßwaͤgen verkündt man vierzaͤchen tagZeitspanne: 14 Tage vorhin durch den statknaͤcht, so die gant versicht, an der kantzell [fol. 94r]Seitenumbruch also: Alle, die by der march stüren wellen, die moͤgen für min heren komen, da wellen mine herren warten. Am anderen suntagZeitspanne: Sonntag, alls achttagZeitspanne: 8 Tage nach dem vorigen, verkündt man aber durch den genaͤmpten knaͤcht: Alle die, so by der march stüren wellen, soͤllen sich dis tag zuͦ hin machen, dan min heren wellen an sambstagZeitspanne: Samstag tüncken und niemand mer hoͤren. Nun die vierzaͤchenn tagZeitspanne: 14 Tage moͤgen die burger, wan es inen gelaͤgen ist, zestüren komen. Die ersten achtagZeitspanne: 8 Tage fragt man alle ratzOrganisation: tag hinuß uff luͦbenn, oͤb oͤthwar da sig, der stüren woͤll, deßglichenn thuͦt man die letst wochennZeitspanne: 1 Woche, in deren man dem stüren zuͦ lieb alle tagWiederholte Zeitspanne: 1 Tag rath halt, ouch also.
Und wenn burger zestüren komen, nimpt man iren an zwentzigMenge: 20 oder drissigMenge: 30 inhin für den kleinenn raͧtOrganisation: , der selbig allein zuͦ stüren sitzt, und fragt der statschriber einen nach dem anderen, was er zuͦ stür geben woͤll, und schribt also eins yeden stür nach dem anderen uff.2 Und so sy alle, so denzemall in der stuben sind, also uffgeschriben werden, gibt inen daruff der schultheis den eyd: «Also ir werden schweren, das ir aller u̍wer guͦt, deßglichen uwer wyber guͤtter, ligentz unnd varentz, nützet ußgenomen, verstüret haben, alls lyeb es u̍ch sig.» Derglichen brucht man es für und für, bitz alle die, so selbs stüren wellend, gestüret habend.
Am naͤchsten fritagZeitspanne: Freitag vor der stür gaͧt der statschriber mit den drigMenge: 3 statknaͤchten umb, suͦchen alle hußlütt und insaͤsen, so vormals nit in dem stür buͦch begriffen sind, schribend die selben uff, bringend das selbig mornadis, samstagZeitspanne: Samstag, am tüncktag für. Welle dan burger darunder sind, die tünckt man, den anderen, so nit burger sind, püt man uss der stat oder an eim offnen wirt zuͦ zeren. Mornadis, sambstagZeitspanne: Samstag, setzend sich min heren, die kleinen raͤtOrganisation: , naͤmenn die drigMenge: 3 statknaͤcht zuͦ inen sitzend und facht man vornen [fol. 94v]Seitenumbruch im stürbuͦch an. Unnd woͤlicher nit gestüret hat oder sich nit stüren mag, den tünckt man nach sinem hab oder guͦt, legt man im uff oder nimpt im ab. Dan zevor ee und man zetüncken anfacht, verschafft der schultheis mit den raͤthenOrganisation: und knaͤchten bim eyd, einen yeden zuͦ tüncken, im uff oder abzelegen, darnach und eins yedenn vermoͤgen sig. Unnd so also alle burger lut des stür buͦchs uß und uß gestüret wordenn, uberlist man daruff das stür buͦch, oͤb da oͤthwar wer, der gestüret hete minder, dan aber sin guͦt were. Und so einer also verhannden sin, verordnnet ein ratOrganisation: zuͦ dem selben, nimpt im sin schlüssel ab, beschlüst im sin hus, nimpt des guͦt zuͦ gmeiner stat handenn und bezalt ein ratOrganisation: dem, also vill er verstüret hat.3
Mornadis, suntagZeitspanne: Sonntag, alls uff den stür tag, thuͦt man durch den genanten knaͤcht den driten ruͦff in der kilchen, also das alle burger und insaͤsen ire stüren soͤllen by der tag zitZeitspanne: tags dem seckelmeister gaͤben oder ussert der stat unnd fridkreis gan und nit mer darin komen, sy habind dan zevor ire stüren bezalt.
Es soll ouch alwaͤg by eim seckelmeister von miner heren waͤgen an der stür sitzen bed schultheisen und der statschriber, ouch wen ein seckelmeister sunst für sich selbs das gaͤlt zuͦ zellen wil haben, und die stür nach lut dem stürbuͦch innaͤmen und niemantz nützet nachlassen an siner stür.

Anmerkungen

    1. 1491 wurde der Steuersatz von 1 Prozent oder 1 Pfund von 100 Pfund halbiert (STAW B 2/5, S. 456; vgl. auch Bosshart, Chronik, S. 65, zu 1490). Diesem Tarif entspricht ein Ratsbeschluss von 1527, dass gemäss bestehender Praxis bei einer Leibrente, die für 100 Gulden erworben worden war, 1 Pfund Haller Steuer bezahlt werden musste (STAW B 2/8, S. 104). 1536 wurde der Steuertarif nochmals gesenkt auf 10 Schilling pro 100 Gulden, weitere Reduktionen bis zu 1 Schilling folgten (winbib Ms. Fol. 27, S. 413).
    2. Steuerverzeichnisse liegen seit 1468 vor (STAW B 3f). Sie geben nicht nur einen Überblick über die Vermögensverhältnisse in der Stadt, sondern auch über die Sozialtopografie, vgl. Niederhäuser 2014, S. 143-147.
    3. Zu obrigkeitlichen Massnahmen gegen säumige Steuerzahler allgemein vgl. Isenmann 2012, S. 541-542.